Thomas Hitzlspergers Coming-out stieß auf überwiegend positive Reaktionen. Viele Diskutanten aber wollten wissen: Warum muss das Thema überhaupt so groß gemacht werden? Eine gute Frage.
Die beste Reaktion wäre keine Reaktion. Diesen Satz kann man so ähnlich auf Twitter, Facebook und in zahlreichen Internetforen lesen, in denen über das Coming-out von Thomas Hitzlsperger diskutiert wird.
Man kann die Verfasser durchaus verstehen, denn der Satz impliziert den Wunsch nach Normalität, nach etwas, das nicht öffentlich und in einem mitunter hysterischen Rahmen verhandelt werden muss. Der Kicker schrieb zum Beispiel: „Eilig? Wichtig? Ist etwas passiert? (…) In einem weltoffenen Deutschland sind weder Sexualität noch Religion eines Sportlers zu thematisieren oder gar zu tabuisieren – und schon gar keine Eilmeldung wert.“ Kurz: Das diskutierte Thema sollte schlichtweg nichts Außergewöhnliches darstellen.
Ein Mann steht auf Männer. Er ist Fußballer. Profi. Na und?
Die Sache ist nur ein wenig komplizierter, denn im Profifußball hat es weltweit bislang nicht mal eine Handvoll Fälle gegeben, in denen sich Spieler geoutet haben. Nur zwei Fußballprofis sprachen während ihrer aktiven Karriere öffentlich über ihre sexuelle Orientierung: der Schwede Anton Hysen und der US-Amerikaner Robbie Rogers.
Der Fall Fashanu
Viele Jahre stand der Name Justin Fashanu wie ein Mahnmal für homosexuelle Sportler. Der Stürmer war in den achtziger Jahren einer der Superstars im englischen Fußball, 1981 wechselte er für eine Rekordablöse zum Europapokalgewinner Nottingham Forest. Nach den Spielen besuchte er regelmäßig Schwulenbars, und als sein Trainer, Brian Clough, Anfang 1982 Wind bekam, beschimpfte er ihn vor versammelter Mannschaft als „Poof“ (dt. Schwuchtel), später warf er ihn aus dem Kader. Als Fashanu trotzdem beim nächsten Training erschien, versuchten Spieler und Trainer ihn vom Platz zu drängen.
1991 machte Fashanu seine Homosexualität öffentlich. Die Boulevardzeitung „Sun“ hatte ihm dafür 80.000 Pfund bezahlt. Noch wenige Stunden vor Druckunterlagenschluss flehte ihn sein Bruder vergeblich an, sein Coming-out zurückzuziehen. Er bot ihm ebenfalls 80.000 Pfund an.
„Welcome to the club!“: Die Reaktionen auf Hitzlspergers Coming-out
Die Familie verstieß ihn, und es begann ein Spießrutenlauf durch die Medienanstalten, in denen sich Fashanu so sehr verirrte, dass er 1997 seine Karriere beendete. Ein Jahr später erhängte er sich in einer Garage im Londoner East End. In seinem Abschiedsbrief schrieb er: „Schwul und eine Person des öffentlichen Lebens zu sein, ist hart.“
In Deutschland beendete Marcus Urban wegen des Drucks seine Profikarriere. Der Spieler von Rot-Weiß Erfurt unternahm einmal den Versuch, sich zu offenbaren. „Ich stand mit einem Mitspieler in der Straßenbahn. Und da sagte ich zu ihm: ›Ich bin schwul.‹ Das hatte etwas von Aufgabe, es war die Sehnsucht, endlich mal loslassen zu können. Er reagierte nicht. Kein Wort.“ Später hat er nie wieder darüber gesprochen, auch nicht mit Spielern, von denen er annahm, sie könnten ebenfalls homosexuell sein. „Es war alles geprägt von Skepsis und Angst. Und dieser Frage: Was ist, wenn du dich einem anvertraust, doch die Vermutung falsch war?“
Die Schwierigkeit im Umgang mit dem Schwulsein
Das alles ist eine Weile her, doch auch keine Ewigkeit: Urban outete sich erst 2007, und Fashanus Fall liegt 16 Jahre zurück, doch bis heute behauptet sein Bruder, dass Fashanu nicht homosexuell gewesen sei: „Das ist doch Nonsens! Showbiz!“ Das Klima hat sich seitdem geändert, es haben sich homosexuelle Fanklubs gegründet, Ultras hängen Fahnen auf, auf denen sie gegen sexistische Gesänge positionieren und auch die Verbände und Vereine engagieren sich gegen Homophobie.
Aber heißt dies, dass ein homosexueller Spieler heute die Akzeptanz bekommt, die die große Mehrheit erwartet? Man muss nicht über die Baslers und Daums reden, nicht mal über Sepp Blatter, der von Fußballfans erwartet, dass sie während der WM in Katar ihre Sexualität nicht offen zeigen („Aus Respekt vor dem Gastgeberland“). Man muss einfach einen Blick auf die prominenten Reaktionen auf Hitzlspergers Coming-out werfen. Denn so positiv die Bewertungen zu Hitzlspergers Coming-out auch ausfallen, so schwer tun sie sich im Umgang und im Finden des richtigen Vokabulars. Am Mittwochabend sprach Kaiserslauterns Vorstandsvorsitzender Stefan Kuntz in einer Talkshow zum Beispiel von einem „klasse Schritt“, doch eben auch von einer „Schmach“ und von „Schwächen“, die gegnerische Fans angreifen würden. Reinhard Rauball sprach derweil von „Betroffenen“. Beides war nicht despektierlich oder diskriminierend gemeint, es zeigt einfach, wie unbekannt das Terrain ist.
Letztlich mag auch das Gros der Spieler und Fans von heute auch aufgeklärter und gebildeter sein als in den achtziger Jahren, doch sexistische oder homophobe Sprüche hört man immer noch, in den Kabinen und in den Kurven, sogar am Millerntor, und auf der 11FREUNDE-Facebook-Seite gab es sie ebenfalls zu genüge. „So absurd das im Jahre 2014 auch wirken mag: ›schwul‹ ist als Schimpfwort im Fußball immer noch verbreitet. Man sagt sogar manchmal ›schwuler Pass‹ nach einem schwachen Zuspiel“, so Thomas Hitzlsperger in dem Interview mit der „Zeit“.
„Welcome to the club!“: Die Reaktionen auf Hitzlspergers Coming-out
So absurd es ist, wenn man zu diesem Thema heute noch „Wir stehen hinter“-Kommentare schreiben muss, so wundersam es erscheinen mag, wenn man Postings liest, in denen wildfremde Menschen Thomas Hitzlsperger „viel Kraft“ oder „viel Glück“ wünschen, schließlich wähnte man sich doch längst in einer Zeit, in der die sexuelle Orientierung einer Person nicht von Belang ist. So traurig es ist, dass das Thema lange nicht in der vermeintlichen „Normalität“ angekommen ist – es wird niemals dort ankommen, wenn man darüber schweigt, es ignoriert oder sagt: Na, und?
Auch deswegen sind direkte Reaktionen und eine öffentliche Diskussion über das Thema essenziell, in den Medien, in den Vereinen und in der Kurve. Das Ziel muss es sein, dass niemand mehr „viel Kraft“ oder „viel Glück“ wünschen muss oder „mutig“ oder „Respekt“ schreiben muss. Das Ziel muss es sein, dass ein Coming-out keine Nachricht mehr ist. Nicht mal ein Dreizeiler.
„Es braucht Leute, die (öffentlich) vorweg gehen!“
Ein Twitter-Dialog zwischen Rolf Fuhrmann und Ralph Gunesch bringt das Dilemma ziemlich gut auf den Punkt.
„Der Skandal ist, dass man sich überhaupt wegen seiner Sexualität outen muss“, twitterte der Sky-Reporter am Mittwochnachmittag. Der ehemalige St.Pauli-Profi antwortete: „So lange Homosexualität als minderwertig, unnormal, Sünde oder krank angesehen wird, braucht es Leute, die (öffentlich) vorweg gehen!“
Die traurige Wahrheit ist: Beide haben Recht.