Mike Werner, viele westdeutsche Spieler Ihrer Generation geben die Weltmeisterschaften 1982 und 1986 als Schlüsselerlebnisse in ihrer Fußballsozialisation an. Was waren die prägenden Spiele eines DDR-Fußballers?
Mike Werner: Das waren vermutlich dieselben wie bei den Westfußballern. Es war ja nicht so, dass wir von den Spielen, die im westlichen Europa stattfanden, nichts mitbekamen. Als Fußballer war man unglaublich viel unterwegs, gerade auf den Reisen mit den DDR-Jugendnationalmannschaften haben wir ziemlich viel mitgenommen.
Wie erlebten Sie die EM 1988 in Deutschland?
Mike Werner: Ich stand damals bei Vorwärts Frankfurt unter Vertrag, einem der großen Armeeklubs. Dort war natürlich alles Westliche verpönt und die verantwortlichen Herren achteten penibel darauf, dass auch ja niemand gegen Regeln verstößt. Wir mussten die Spiele also heimlich schauen. Einer von uns hockte an der Tür und horchte, die anderen saßen nah des Fernsehers, um gegebenenfalls schnell wegzuschalten.
Und Ruud Gullit wurde 1988 Ihr Idol?
Mike Werner: Nein, meine Vorbilder zu der Zeit waren immer Verteidiger, Kämpfertypen, Kanten. So wie ich auch später.
Gibt es diesen Spielertypen heute eigentlich noch?
Mike Werner: Heute wird bei Verteidigern viel mehr auf Athletik und Technik geachtet als damals. Zu meiner aktiven Zeit war das nebensächlich – das lag aber auch daran, dass wir früher weniger taktisch gespielt haben. Die Ansage des Trainers lautete: „Renn dem Stürmer hinterher bis zur letzten Minute“. Klassische Manndeckung eben.
Die Hierarchien auf dem Platz waren auch andere.
Mike Werner: Als junger Spieler durfte man sich nicht viel herausnehmen, da hat man gar nichts zu sagen. Bälle tragen, Schuhe putzen – das war üblich. Ich tat es bereitwillig, ich wäre eh nie auf die Idee gekommen als 17-jähriger Jungspund, der nur mit Einwilligung meiner Eltern den Profivertrag bei Vorwärts Frankfurt bekommen hatte, groß aufzumucken.
Welchen Stellenwert hatte Fußball damals in der DDR?
Mike Werner: Gerade bei den Armeesportvereinen und Polizeisportvereinen wie Dynamo Dresden, BFC Dynamo oder Vorwärts Frankfurt einen sehr hohen. Diese Vereine wurden ja ausschließlich von höchsten Staatsstellen unterstützt, und die wollten natürlich Erfolge sehen, sie wollten sich mit den Vereinen schmücken.
War dieser Wunsch, eines Tages als Fußballprofi sein Geld zu verdienen in DDR nicht ein sehr exklusiver?
Mike Werner: Es kam immer darauf an, wo man herkam. Auf den Sportschulen, die ich besucht habe, gab es einfach nichts anderes als Fußball. In meiner ganzen Jugend: nur Fußball. Gerade nach dem Wechsel zu Vorwärts Frankfurt: Plötzlich hießen meine Eltern Trainer und Verein. Es war einfach alles, der ganze Alltag, die Schule, auf Fußball abgestimmt.
Sie spielten in Junioren-Nationalmannschaften, schafften aber nie den Sprung in die A‑Mannschaft der DDR. Woran lag das?
Mike Werner: In Frankfurt/Oder besuchte ich nebenher noch die Schule, eines Tages war mir so verdammt langweilig, dass ich auf ein Blatt ein Bild mit einer Mauer gemalt habe und drunter schrieb: „Die Mauer muss weg“. Daneben kritzelte ich noch in dicken Lettern: „Udo Lindenberg“, von dem ich damals großer Fan war. Das haben sie entdeckt, danach wurde ich degradiert und wechselte zu Motor Eberswalde.
Wie wurde das Bild entdeckt?
Mike Werner: Ich war damals so ein kleiner Rüpel, ein richtiger Bengel. Deswegen wurde mir irgendwann ein Offizier zugewiesen, der meine Arbeiten und Mappen kontrollierte. Er fand das Bild, brachte es brav zu den verantwortlichen Stellen und leitete das Ende bei Vorwärts Frankfurt für mich ein. Die Nationalmannschaft war für mich dann natürlich auch gestorben.
Ihre ganze Karriere hätte jäh zu Ende sein können. Mit Motor Eberswalde spielten Sie nach Ihrem Debüt in der DDR-Oberliga plötzlich wieder in der Bezirksliga.
Mike Werner: Das stimmt. Glücklicherweise entdeckte mich ein Scout von Hansa Rostock und lud mich zu einem Probetraining ein.
Bei Rostock blieben Sie fünf Jahre, ehe Sie die Profikarriere im jungen Alter von 25 Jahren beenden mussten.
Mike Werner: Das waren bittere Monate. Vor allem weil wir mit Hansa gerade aufgestiegen waren, ich mich pudelwohl bei dem Verein fühlte und mir vorstellte, noch Jahre für den Verein zu spielen. In Am ersten Spieltag der Saison 1995/96, an deren Ende wir den 6. Platz belegten, zog ich mir einen Kreuzbandriss zu. Ich hatte in der Folge drei Operationen, kam aber nie wieder zurück – für unterklassige Vereine, die zweimal die Woche trainieren, reichte es noch, für den Profibereich nicht mehr.
Wenn Sie heute an Ihre Profikarriere zurückdenken: An welches Spiel erinnern Sie sich besonders gerne?
Mike Werner: Ich erinnere mich nicht an ein bestimmtes Spiel, sondern an die ganze letzte DDR-Oberliga-Saison mit Hansa Rostock. Wir holten überraschend aber verdient das Double, den Pokal und die Meisterschaft. Trainer war damals Uwe Reinders, der die Mannschaft unglaublich gut einstellte und strukturierte. Er gab der Mannschaft ein Gesicht. Nicht minder schön war der Bundesligaaufstieg 1995.
Nach dem Aufstieg erfüllten Sie sich einen großen Wunsch.
Mike Werner: Ich kaufte mir eine Harley Davidson…
Und Sie ließen sich, wie es sich für einen Rocker gehört, die Haare stetig weiter wachsen.
Mike Werner: Damals war die Frisur absolut modisch – Vokuhila sagt man ja dazu. Wissen Sie, gerade für die Spieler aus dem Osten hatten die Frisuren eine besondere Bedeutung. Bei der Armee mussten wir immer kurz geschoren herum laufen, nachdem ich aber degradiert wurde, ließ ich sie wachsen. Die Spieler aus dem Osten visualisierten damit fast so etwas wie eine rebellische Haltung zum gleichförmigen DDR-Staat.
Heute tragen Sie die Haare kurz.
Mike Werner: Irgendwann war es mit den langen Haaren zu unpraktisch – das Waschen dauerte so endos lange.
Was denken Sie, wenn Sie sich heute alte Bilder angucken?
Mike Werner: Ach ja, sah doch gut aus. (lacht)