Ein Fantraum wird wahr: Beim mexikanischen Drittligisten Murciélagos FC haben die Anhänger das Sagen. Per Facebook und Twitter entscheiden sie nicht nur über Taktik und Aufstellung. Sie bestimmen auch über das Wohl des Trainers.
Schluss mit neunmalklugen Stammtischreden. Die Fans von Murciélagos FC können sich nicht mehr damit brüsten, sie wüssten ohnehin alles besser als der Trainer. Denn beim mexikanischen Drittligisten sind sie es, die über Personal und Taktik bestimmen. Per Twitter und Facebook.
Seit drei Jahren lässt der Klub aus der gut 60.000 Einwohner zählenden Stadt Guamúchil im Norden Mexikos seine Anhänger über soziale Netzwerke im Internet die Geschicke auf dem grünen Rasen maßgeblich mitbestimmen. Die Idee dazu hatten die Brüder Elías und Miguel Favela, denen der Verein gehört. Eine kleine Revolution, die mit langjährigen Traditionen des Fußballgeschäfts bricht.
So relativiert Elías Favela beispielsweise die Bedeutung von Trainern, die oftmals aus ihrem Job eine Wissenschaft machen. „Die wollen uns doch immer gerne glauben lassen, dass der Sport komplizierter sei als er tatsächlich ist“, sagt er. Letztlich gehe es doch nur darum gut zu spielen und den Ball ins Tor zu schießen.
Der Erfolg zumindest gibt den Brüdern Favela recht. In der abgelaufenen Saison wurden die „Fledermäuse“ Meister. Mexikos dritthöchste Spielklasse, die Segunda División, soll ohnehin nur eine Durchgangsstation sein. Mittelfristig peilt der in sportlichen Fragen basisdemokratisch bestimmte Verein den Aufstieg in die Belleetage an.
„Werde elektronischer Trainer“
Die virtuelle Fangemeinde des 2008 gegründeten Klubs wächst kontinuierlich. Via Twitter folgen dem Klub derzeit knapp 4500 Menschen. Auf Facebook ist die 35.000-Marke fast erreicht. „Werde elektronischer Trainer und lasst uns gemeinsam die Meisterschaft gewinnen“, heißt es dort. PlayStation-Gefühl mit Wirklichkeitsbezug.
Die Spiele von Murciélagos FC werden unter anderem über die Vereinsseite www.murcielagosfc.com live im Internet übertragen. Auf dem Bildschirm erscheinen während der 90 Minuten Aufrufe an die Fans, spieltaktische Entscheidungen zu treffen. Ob es beispielsweise an der Zeit ist, einen neuen Spieler in die Partie zu bringen.
Stimmt die Mehrheit für „Ja“, wird Trainer Roberto „Gato“ Sandoval am Spielfeldrand informiert. Dieser schlägt anschließend zwei Namen zur Einwechslung vor. Den Rasen betritt letztlich derjenige, der per Twitter und Facebook die meisten Fürsprecher hat. Virtuelles Coaching in Echtzeit.
Und wie fühlt sich Sandoval in der Rolle als Vollstrecker des Fanwillens mit beschränkter Handlungsfreiheit? Er nimmt es gelassen. Bei der Vertragsunterschrift habe er schließlich gewusst, dass er bei keinem normalen Klub unterschreibe. „Ich glaube nicht, dass meine Autorität dadurch untergraben wird. Die Arbeit wird während der Woche geleistet. Und das sieht man später auch auf dem Spielfeld“, sagt Sandoval. Mit den meisten Entscheidungen der Fans stimme er ohnehin überein: „Von daher kann ich das System nur empfehlen. Die Menschen fühlen sich als Teil des Teams.“
Selbst die Mannschaftskabine ist bei Murciélagos FC keine Tabuzone. Sandovals Halbzeitansprache wird ebenfalls live in die Wohnzimmer der Fans übertragen. „Big Brother“ lässt grüßen. Dabei muss Sandoval seine Worte gut abwägen. Denn letztlich geht es auch um seinen Job. Sind die Fans mit seinen taktischen Winkelzügen zufrieden, können sie ihm Pluspunkte, sogenannte „Vidas“ (deutsch: Leben), gutschreiben. Diese gibt es auch für jedes gewonnene Spiel – bei Kantersiegen sogar noch ein paar obendrauf.
Noch 19 Leben
Somit ist Sandoval ständig der Gunst der Fans ausgesetzt. Doch statt sich zu beklagen, sieht er die Aufgabe als Herausforderung: „Auf diese Art achte ich noch mehr auf jedes Detail und werde dadurch immer professioneller.“ Nach einem Punkt aus zwei Partien in der laufenden Spielzeit bleiben „Katze“ Sandoval noch 19 „Leben“.
Der „elektronische Trainer“ („DT Electrónico“) könnte Schule machen. Davon gehen zumindest die Brüder Favela aus. Sie haben sich die Idee vorsichtshalber registrieren lassen. Während auch andere Klubs wie Ebbsfleet United aus England oder der Monmouth Town in Wales bereits versucht haben, ihre Fans direkter an sportlichen Entscheidungen zu beteiligen, nehmen die Bosse von Murciélagos FC für sich in Anspruch, in Sachen Internet-Trainer weltweit eine Vorreiterrolle zu spielen.
Eine Ausgabe von Aktien ist künftig ebenfalls geplant. „Das Ziel ist es, in fünf bis sechs Jahren in der ersten Liga anzukommen“, sagt Elias Favela. „Mit unser DNA, dem elektronischen Trainer.“