Einer der besten Protagonisten beim Top-Spiel zwischen Dortmund und Bayern am Samstag trug ein schwarzes Trikot. Eine Würdigung der Schiedsrichter-Leistung Manuel Gräfes.
Über Schiedsrichter sagt man gemeinhin: Sie sind am besten, wenn sie nicht auffallen. Manuel Gräfe ist am Samstag sehr wohl aufgefallen, und das ist gut so. Der Unparteiische aus Berlin leitete die Partie mit der Souveränität eines Helmut Schmidt und erstickte jede Aufgeregtheit im Keim. Dabei enden vermeintliche Top-Spiele oft genug in einer üblen Treterei. Und mit der ganzen Aufregung um Mario Götze im Vorfeld der Partie, hätte auch die Begegnung vom Samstag gut und gerne zu einer ruppigen Angelegenheit werden können. Doch selbst Entscheidungen, die der Zuschauer nach der fünften Super-Zeitlupe für eindeutig fragwürdig erachtet, vertrat Gräfe mit einer solcher Selbstverständlichkeit, dass man als Spieler wohl nicht umhin kam, der jeweiligen Tatsachenentscheidung des Schiris kleinlaut beizugeben. Doch was genau hat Gräfe eigentlich richtig gemacht? Und was können seine Kollegen von ihm lernen?
Alles im Griff
Es läuft die 44. Spielminute, als Mario Mandzukic und Kevin Großkreutz aneinander geraten. Die beiden Emotionsbolzen stehen sich gegenüber wie Boxer in der zwölften Runde – auf der Suche nach dem Lucky Punch. Die Köpfe pendeln vor und zurück, eine krude Mischung zwischen „Kopfnuss provozieren“ und „Kopfnuss austeilen“. Der Rest ist Routine. Ein bisschen Rudelbildung und viel Aufregung, während der sowohl Mandzukic als auch Großkreutz realisieren, dass es wohl besser ist, sich schnell aus dem Staub zu machen. Aber nicht mit Manuel Gräfe.
Der Schiedsrichter beruhigt erst das Rudel, geht dann ein paar Schritte zurück, um sich eine neutrale Zone zu schaffen, in die er die beiden Kampfhähne einbestellt. Was dann folgt, ist das Fundament seiner guten Schiedsrichterleistung an diesem Tag. Den ebenfalls antrabenden Bayern-Kapitän Philipp Lahm schickt er mit einer lässigen Handbewegung von dannen, die soviel sagt wie: „Ist gut. Ich weiß, Du meinst, Du musst jetzt zu mir kommen, aber wir beide wissen, es wird nichts ändern. Also: Abmarsch!“ Als Mandzukic und Großkreutz dann schließlich vor ihm stehen, lässt Gräfe die Situation für einen Moment unkommentiert wirken. Im Hintergrund sieht man Gräfes Assistenten Markus Sinn etwas rufen, doch der nickt nur leicht und signalisiert: alles im Griff. Dann schnellen seine Arme nach unten. Die „Jetzt ist Schluß“-Geste, gefolgt von der gelben Karte für beide Spieler. Mandzukic und Großkreutz akzeptieren kleinlaut und schleichen weg wie Kinder, die wissen, dass sie ihre Mutter enttäuscht haben.
In der 54. Spielminute unterläuft Gräfe der einzig nennenswerte Fehler des Spiels. Nach einem rüden Tackling von Marco Reus an Rafinha belässt es der Schiedsrichter bei einem Freistoß. Eine gelbe Karte wäre angemessen gewesen. Doch sowohl die Spieler auf dem Platz als auch die Offiziellen auf der Bayern-Bank halten sich mit wutschnaubenden Forderungen zurück. Und auch als Dante vor dem 2:0 in der 85. Minute Marco Reus auf den Fuß steigt, und so den Konter zum 2:0 erst ermöglicht, regen sich weder Reus noch die Dortmunder Bank auf. Den Grund dafür lieferte anschließend der Vorsitzende der Schiedsrichterkommission des DFB, Herbert Fandel: „Manuel Gräfe ist eine unglaublich starke Persönlichkeit. Er hat das Spiel mit voller Überzeugung geleitet. Er hat eine ruhige, aber souveräne Art und war nie wankelmütig, sondern ganz klar bei allen seinen Entscheidungen. So etwas merken die Spieler auf dem Platz.“
Dabei schadet es sicher nicht, dass Manuel Gräfe mit seinen 1,94 Meter Köpergröße schon von sich aus eine überzeugende Erscheinung auf das Spielfeld bringt. Oder als gebürtiger Berliner von Kindesbeinen an einen direkten Tonfall gewohnt ist. Man kann sich Gräfe auch gut als einen dieser Kneipenwirte vorstellen, die dem vollgetankten Stammgast erklären müssen, dass es jetzt auch mal gut ist mit Molle und Korn. Aber soll das die Lehre sein? Dass in der Bundesliga nur noch groß gewachsene Urberliner an die Pfeife gelassen werden?
Testosteron-Tango
Am Ende war die starke Leistung Gräfes eine Mischung aus Entschiedenheit und Glück. Hätte er die heikle Szene in der 44. Minute falsch bewertet, hätte ihm das Spiel genauso gut aus der Hand gleiten können. Egal, wie geradlinig und souverän er die Partie bis dahin leitete. Doch spätestens als er den Testosteron-Tango von Mandzukic und Großkreutz in salomonischer Weise beendet hatte, gewann er den Respekt der Spieler. Dass die in der Absicht auf den Platz gegangen waren, Fußball zu spielen, anstatt sich kaputt zu treten, machte Gräfes Arbeit noch ein Stück leichter. So einfach ist das. Und doch so schwer.