Wenn Leverkusen gegen Hoffenheim spielt, dann spielt für viele: Bayer gegen SAP. Werksklub gegen Retortenverein. Fans beider Klubs müssen immer wieder um ihr Image und das ihrer Vereine kämpfen. Wie geht es ihnen damit?
Als der Hoffenheim-Gästeblock Ende der ersten Halbzeit singt „Ohne Kießling fahr’n wir zur WM“, und der Leverkusener Ultra-Block brüllend antwortet „Scheiß Hoffenheim“, spätestens da hätten die selbsternannten Bewahrer des traditionellen Fußballs merken können, das auch hier ganz normale Fußballfans im Stadion stehen und ganz normale Fußball-Gesänge anstimmen. Aber wahrscheinlich haben die meisten mal wieder nicht eingeschaltet. Denn die gefühlte Wahrheit, wenn sich Bayer 04 Leverkusen und 1899 Hoffenheim begegnen, lautet nun mal: Werksklub gegen Retortenverein. Bayer gegen SAP. Geld trifft Geld gleich: kein Interesse.
Heribert Bruchhagen, Vorstandschef von Eintracht Frankfurt, klagte vergangenes Jahr: „Wir hatten beim Gastspiel von Wolfsburg sage und schreibe 189 Gäste aus Wolfsburg. Und das nervt, weil wir aus Sicherheitsgründen fast 5000 freie Plätze nicht verkaufen können.“ Auch BVB-Geschäftsführer Jans-Joachim Watzke warnte vor der neuen Macht von Retortenklubs: „Wir können nicht noch drei Mannschaften gebrauchen, die vor 25.000 Zuschauern spielen und auswärts nur 500 Zuschauer mitbringen.“
Einschaltquoten unter der Messbarkeitsgrenze
Die beiden Kontrahenten vom gestrigen Abend könnten sich angesprochen fühlen: Bayer 04 Leverkusen liegt mit durchschnittlich 27.907 Zuschauern aktuell auf Rang 14 der Zuschauer-Tabelle, Hoffenheim folgt auf Rang 16 mit durchschnittlich 26.872 Zuschauern. Und meldeten die Mediendienste nicht stets mit diebischer Freude, das Spiel Leverkusen gegen Wolfsburg sei das unbeliebteste Spiel bei Sky gewesen, mit Einschaltquoten unter der Messbarkeitsgrenze? Niemand, so lautet eine Interpretation dieser Zahl, möchte Werksklubs oder Retortenvereine spielen sehen.
Pascal Schulte ist Fußball-Experte des Kölner Sportmarketing-Forschungsunternehmens „Repucom“. Seine Firma befragt alle drei Monate in einer bundesweiten Umfrage Sympathie- und Beliebtheitswerte aller Bundesligavereine ab. „Was Sympathie und Beliebtheit betrifft, können Leverkusen und Hoffenheim nicht in einen Topf geworfen werden“, sagt er. „Leverkusen liegt in puncto Sympathie im oberen Tabellendrittel der Bundesliga und das nicht nur aufgrund der guten sportlichen Performance in den vergangenen Jahren.“ Der Verein habe vieles richtig gemacht: Da man ohnehin mit dem Bayer-Konzern assoziiert werde, habe man das in der „Werkself“-Kampagne einfach aufgenommen. „Das Vereinsprofil ist also recht stabil und der Klub ist bei weitem nicht mehr so polarisierend in Deutschland“, meint Schulte.
Leverkusen-Fans reagieren gereizt auf das Image-Thema
Aber er sagt auch: „Ein Manko ist sicherlich die Anzahl der echten Fans. Da hat Leverkusen gegenüber anderen Klubs sicherlich noch Nachholbedarf, und die Rahmenbedingungen sind aufgrund des hohen Wettbewerbs mit den Vereinen der umliegenden Städte eher schwierig.“ Im potentiellen Einzugsgebiet von Bayer 04 Leverkusen liegen mit Köln, Gladbach, Wuppertal, Bonn und Düsseldorf teils fußballbegeisterte Großstädte mit eigenen Klubs. Ärger gab es deshalb auch zuletzt, als Leverkusen auf der Wuppertaler Schwebebahn für seinen „Spitzenfußball“ warb: dass ein Champions-League-Teilnehmer es nötig habe, in Wuppertal um neue Fans zu buhlen, damit das Stadion voll wird, ätzte ein Vorstand des Oberligisten Wuppertaler SV.
Da war das gefühlte Image mal wieder stärker. Fragt man Leverkusener Fans, wie sie damit umgehen, reagieren sie zunehmend gereizt. Immer sei es die gleiche Schiene. Abwinken. Zunächst möchte sich niemand so recht dazu äußern. Ein Kuttenträger sagt schließlich: „Ich kriege immer ‚nen Hals wenn ich Mäzentum höre! Bayer gibt der Mannschaft verhältnismäßig wenig Geld: etwa 25 Millionen Euro im Jahr. Das sind Peanuts im Vergleich zu VW, Gazprom oder Allianz.“
Und Hoffenheim? Die Fans scheinen sich arrangiert zu haben mit den Fragen nach ihrer Sympathie. „Dass wir, wo immer wir hinkommen, angefeindet werden, dürfte sich rumgesprochen haben“, sagt Thomas Schmitz-Günther gelassen. Er ist seit drei Jahren Sprecher des Hoffenheimer Fanklub-Dachverbandes. „Ich denke aber, dass sich in den letzten Jahren einiges normalisiert hat. Es war der kometenhafte Aufstieg von Hoffenheim, der einige Leute wohl ein bisschen aufgescheucht hat. Inzwischen haben wir uns mit allen Höhen und Tiefen zumindest sportlich in der Liga etabliert.“
Er glaubt, es dürfte sich rumgesprochen haben, dass „sich das Engagement von Dietmar Hopp nicht auf das Spielzeug eines alten Mannes reduzieren lässt“, der beliebig die Geldschatulle aufmache, sondern der – im Gegenteil – nachhaltig fördere. Man müsse die enorme Geschwindigkeit der Entwicklung in Betracht ziehen, sagt er: „Vor wenigen Jahren hat Hoffenheim noch vor 1000 oder 3000 Zuschauern gespielt.“ Gegen das Etikett Retortenverein wehrt er sich: „Die Verbundenheit der Menschen zu dem Verein gibt es schon sehr lange. Es ist ein volkstümlicher Verein, das sollte man nicht unterschätzen.“ Die Entwicklung der Fan-Basis habe eben mit der sportlichen und infrastrukturellen Entwicklung nicht ganz mithalten können Nun müsse man noch darauf setzen, dass Jugendliche in der Region in Hoffenheim-Bettwäsche aufwachen.
Exemplarische Spiele gegen den BVB
Aller guten Einsicht zum Trotz, leiden Hoffenheim-Fans unter einem relativ schlechten Leumund. Das zeigten beispielhaft die Spiele gegen Borussia Dortmund 2011, als Vereinsmitarbeiter der TSG Hoffenheim mittels akustischer Signale im Gästeblock versuchten, die BVB-Sprechchöre und Schmähgesänge gegen Hopp einzudämmen. Im Rückspiel in Dortmund gab es die dafür umso lauter. Auch die Tatsache, dass Dietmar Hopp den Verein vor dem Aufstieg in die Bundesliga von „TSG“ in „1899“ umbenennen ließ, um auf die Tradition hinzuweisen, wurde von den Gegnern später genüsslich als Argument herangezogen.
So überrascht auch nicht das Urteil des Fußball-Marketingforschers Schulte: „Hoffenheim befindet sich in puncto Sympathie im unteren Drittel des Bundesligarankings“, sagt er. Zwar sympathisiere immerhin noch jeder zweite Fußballinteressierte mit dem Verein, aber, sagt er etwas verklausuliert, es gebe aber auch „eine etwas größere Gruppe von Personen, die sich mit dem Verein bislang nicht anfreunden können. Damit sind sie polarisierender als andere Vereine.“
„Manche Leute denken, ich sei ein schlechter Mensch…“
Dass diese Abneigung mit „der Geschichte mit Herrn Hopp“ zusammenhängt, vermutet auch Stephanie Krotz, 1. Vorsitzende des Hoffenheimer Fanklub-Dachverbandes. Krotz steht eine Stunde vor Anpfiff am Gäste-Eingang vor dem Leverkusener Stadion und begrüßt ihre Kraichgauer. Immerhin 300 seien an diesem Sonntag nach Leverkusen gefahren, schätzt sie. Das sei aber der Uhrzeit geschuldet. Es gebe viele Familien in den Fanklubs, für die sei das zu spät. Anfang April spielt man sonntagabends in Berlin. Da werden noch weniger kommen, glaubt sie. Aber sie hat auch Verständnis für den Ärger von Leuten wie Bruchhagen oder Watzke: „Zwar haben auch wir einen Pulk von Leuten, die immer mitfahren; egal wann, egal wohin. Aber der besteht bei uns halt nicht aus 2000 oder 3000 Fans wie vielleicht bei Dortmund.“
Die Ursache für diese relativ kleine Fan-Schar sieht auch Krotz in dem rasanten Aufstieg: „Wir haben nur ein Jahr in der zweiten Liga gespielt. Das ist einfach zu kurz, um als Fan-Szene zu wachsen.“ Man habe zudem in der kurzen Zeit schon so viel erlebt, von Herbstmeisterschaft bis Relegation, „da blieb kaum Zeit zum Durchatmen“. Immerhin, sagt sie, seien nach dem beinahe-Abstieg vergangenes Jahr fast keine Dauerkarten weggefallen. Das stimme sie optimistisch. Manchmal aber sei sie schon ein bisschen erschrocken über die Ablehnung: „Manche Leute denken wirklich, ich sei ein schlechter Mensch, nur weil ich Hoffenheim-Fan bin.“
Die Einschaltquoten besitzen kaum Aussagekraft
Eine Welle der Ablehnung gegen Hoffenheim sei aber nicht nachweisbar, konstatiert Image-Forscher Schulte. „In der erfolgreichsten Phase, während der Herbstmeisterschaft 2008, war Hoffenheim sogar mal der sympathischste Klub der Liga. Sie sorgten für frischen Wind. Sie arbeiten nun daran, sich ein klareres Profil zu schaffen.“
Und die Sache mit den Einschaltquoten ist im Grunde eine eigene Geschichte. Bevor er die Quote des Hinspiels preisgibt, erklärt ein Sky-Sprecher erst einmal ausführlich, warum die Quote im Grunde kaum Aussagekraft besitzt: Es gibt 3,6 Millionen Sky-Abonnenten in Deutschland, von denen haben aber nicht alle die Bundesliga in ihrem Abo. In 5000 TV-Haushalten steht eine Box zur Messung der Einschalt-Quote. Davon haben gerade mal 300 ein Sky-Abo. Der Wert der absoluten Zuschauer ist also sehr überschaubar, weshalb ein paar wenige Wegschalter schon einen Quotensturz auslösen können. Zudem habe die Terminierung der Spiele erheblichen Einfluss: Freitags- und Sonntagsspiele haben stets höhere Quoten, weil sie außer Bundesliga-Konkurrenz laufen (die besten Werte erreicht das Spiel am Samstagabend). Und die Zuschauer in den Sportsbars und die mobilen Zuschauer von „Sky-Go“ werden gar nicht erst erfasst. Die Quote könne also nur eine grobe Orientierung geben. Das Hinspiel im Oktober, an einem Freitagabend, hatte 410.000 Zuschauer. Der Durchschnitt für Freitagspiele lag bei Sky zu diesem Zeitpunkt bei 400.000 Zuschauern.
Hoffenheim? Nur ein Projekt!
Nach dem Spiel: Treffen im Stadioneck, Stammkneipe der Ultras neben dem Stadion. Ein Leverkusener Ultra aus der Nordkurve ist nun doch bereit zu reden: „Es ist doch überhaupt nichts Schlimmes, dass wir aus einer Betriebssportgemeinschaft hervorgehen. Das ist identitätsstiftend“, sagt er. Man habe sogar eine Initiative gegründet und Unterschriften gesammelt, damit das Bayer-Kreuz erhalten bleibe, als vor Jahren zur Debatte stand, es abzureißen.
Und die Konzern-Zuwendungen? „Kann man gut mit Argumenten widerlegen“, sagt er und zählt auf, welche anderen Sponsoren anderen Vereinen mehr Geld zur Verfügung stellen. „Wir sehen das kritisch, wenn wir mit Wolfsburg oder mit den Red-Bull-Vereinen in einen Topf geworfen werden. Das gibt dann schon einen Stich. Wir betrachten das differenzierter.“ Alles gut also zwischen Leverkusen und Hoffenheim? Ach, Hoffenheim! „Hoffenheim“, sagt der Ultra, „ist für uns einfach nur ein Projekt.“