Es war im Sommer 1994, als Richard Golz sich beim Ham­burger SV nicht mehr wert­ge­schätzt fühlte. Golz, 26 Jahre alt, seit Ende 1988 Stamm­tor­wart an der Elbe, bekam es im Trai­ning plötz­lich mit einem Ham­burger Urge­stein zu tun: Die Ver­ant­wort­li­chen hatten den 40-jäh­rigen Uli Stein zurück zum HSV geholt, Benno Möhl­mann stellte Stein dann auch gleich beim Bun­des­liga-Auf­takt in Stutt­gart ins Tor. Golz blieb, biss sich durch und erkämpfte sich in der Rück­runde seinen Stamm­platz zurück.

Ist Reina ein Mann für die Bank?

Die Epi­sode wird sich in Mün­chen wohl nicht wie­der­holen. Manuel Neuer kehrte als Welt­meister zurück ins Trai­ning, seine Leis­tung in Bra­si­lien war über jeden Zweifel erhaben. Den­noch stellt sich die Frage, wes­halb die Bayern mit Pepe Reina nach Hans-Jörg Butt und Tom Starke bereits den dritten nam­haften Ersatz­mann inner­halb von ein paar Jahren ver­pflichtet haben. Reina, gerade mal 31 Jahre alt, aus­ge­bildet beim FC Bar­ce­lona, Welt- und Euro­pa­meister mit Spa­nien, fast 300 Spiele für den FC Liver­pool, zuletzt ein starker Rück­halt beim SSC Neapel, kurz: Reina ist eigent­lich kein Mann für die Bank.

Den­noch trägt er ab sofort das Trikot der Bayern. Ist es die Angst vor einer Ver­let­zung Neuers, ist es das feh­lende Ver­trauen in die Nach­wuchs­kräfte oder schlicht ein Zei­chen der Stärke? Klar ist: Die Zeiten eines demü­tigen Bernd Dreher, der hinter Oliver Kahn zwi­schen 1996 und 2003 auf gerade einmal elf Ein­sätze kam, sind vorbei.

Der Kon­kur­renz­kampf bei Chelsea

Auch andere euro­päi­sche Top­klubs haben in diesem Sommer auf der Tor­hü­ter­po­si­tion mächtig auf­ge­rüstet: Real Madrids ange­spannte Situa­tion durch das Duell zwi­schen Stamm­tor­wart Diego Lopez und Ikone Iker Cas­illas wird durch die Ver­pflich­tung von Costa Ricas Nummer 1 Keylor Navas noch weiter ange­facht. In Bar­ce­lona kon­kur­rieren die jeweils zwölf Mil­lionen teuren Neu­ein­käufe Marc-André ter Stegen und der Chi­lene Claudio Bravo um die Startelf. Thibaut Cour­tois kehrt nach drei Jahren bei Atle­tico Madrid zum FC Chelsea zurück, selbst­be­wusst und mit dem Anspruch dort Petr Cech zu ver­drängen.

Die Dop­pelt- und Drei­fach­be­set­zung jeder Posi­tion mit Star­spie­lern hat nun also auch das Tor erreicht. Auf den alten Drei­satz aus unan­ge­foch­tenem Stamm­keeper, solidem Ersatz­mann und hung­rigem Nach­wuchs­tor­wart will man sich nicht mehr ver­lassen. Für die Presse garan­tiert das Schlag­zeilen: Jeder Patzer, jedes schlud­rige Her­aus­laufen wird ana­ly­siert. War der wirk­lich unhaltbar? Hätte der Bank­drü­cker den viel­leicht raus­ge­kratzt? Wie lange schweigt der eigent­lich noch zu seiner Situa­tion?

Natür­lich gab es auch in der Ver­gan­gen­heit schon solche Duelle: Trainer Diet­rich Weise behalf sich bei Ein­tracht Frank­furt in der Saison 1973/74 noch mit einer salo­mo­ni­schen Auf­stel­lung, der pro­mo­vierte Zahn­arzt Dr. Peter Kunter und Günter Wien­hold wurden jeweils 17 Mal ein­ge­setzt. Robert Enke kam unter Louis van Gaal beim FC Bar­ce­lona nicht am Argen­ti­nier Robert Bonano und Victor Valdes vorbei.

Der 26,5‑Millionen-Euro Ein­kauf Fran­cesco Toldo musste sich bei Inter Mai­land im Duell gegen Julio Cesar in die Rolle als Nummer 2 fügen. Timo Hil­de­brands furiose Kar­riere bekam ihren wohl ent­schei­denden Knick durch die stän­dige Bevor­zu­gung des alternden Sant­iago Cani­zares. Aber: Die Wucht, mit der diese Aus­ein­an­der­set­zungen nun for­ciert werden, hat eine neue Qua­lität.

Michael Rensing war der legi­time Nach­folger von Oliver Kahn“

Die ent­schei­dende Frage ist, ob die Tor­hüter an der Kon­kur­renz wachsen oder sie als Aus­druck feh­lenden Ver­trauens emp­finden. Gerade bei Bayern sollten sie eigent­lich Erfah­rung haben, was eine solche Ver­pflich­tung für Druck aus­üben kann. Michael Rensing, Kahns lang­jäh­riger Kron­prinz, patzte vor den Augen seines rou­ti­nierten Ersatz­mannes Hans-Jörg Butt. Jürgen Klins­mann ent­schied sich wie später van Gaal schließ­lich für Butts Erfah­rung. Sepp Maier, der Rensing behutsam auf­ge­baut hatte, platzte vor Wut: Michael war der legi­time Nach­folger von Oliver Kahn. Und auch ein Thomas Kraft wäre bei uns seinen Weg gegangen. Wenn man so zwei her­aus­ra­gende Talente im eigenen Stall hat, muss man sie zu Welt­klasse-Leuten aus­bilden und erziehen.“

Es wird sich zeigen, ob die aktu­ellen Mün­chener Nach­wuchs­keeper Ivan Lucic oder Leo­pold Zin­gerle so her­aus­ra­gende Talente sind, dass sie ihren Weg in den Bun­des­liga-Kader finden. Denn auch wenn Pepe Reina und Tom Starke dem Stamm­tor­wart Neuer nicht gefähr­lich werden können: Die Plätze für den Nach­wuchs besetzen sie trotzdem.