Dieser Text erschien erst­mals im November 2013 in 11FREUNDE #144. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhält­lich.

Thomas Magnum wurde in Dort­mund-Bra­ckel gesehen. Oder war es bloß ein BVB-Spieler auf dem Weg vom Trai­ning nach Hause? In ihren Fer­raris sind die Profis ja kaum vom Pri­vat­de­tektiv aus Hawaii zu unter­scheiden, zumal bei dem Tempo, mit dem sie gen Hori­zont pre­schen, der irgendwo hinter dem nächsten Kreis­ver­kehr liegt.

An der Schranke warten die Klein­wa­gen­fahrer und hoffen auf Auto­gramme. Warum sorgen hier in Dort­mund, der Stadt mit der höchsten Arbeits­lo­sen­quote Nord­rhein-West­fa­lens, solche Kon­traste eigent­lich nicht für sozialen Unfrieden? Offenbar gönnt man den Spie­lern den Reichtum, selbst wenn sie ihn offensiv spa­zieren fahren. Viel­leicht weil sie Ersatz­fi­guren sind, Agenten der eigenen ursprüng­lich erträumten Exis­tenz. Man könnte, mit mehr Talent und Fleiß, sein wie sie und in den Fer­raris sitzen. Und mit etwas weniger könnten sie jetzt hier an der Schranke stehen und hoffen.

Auf dem Platz wie ein Boxer

Da kommt Kevin Groß­kreutz. Er sitzt in einem Gelän­de­wagen, aber zumin­dest inner­lich steht auch er noch an der Schranke: ein Fan, der sein will wie die Stars. Als er die Scheibe her­un­ter­lässt und her­aus­schaut, schüch­tern lächelt und sagt: Hallo, ich bin Kevin“, wirkt er wie ein Ball­junge, der im Auto eines BVB-Profis eine Pro­be­runde auf dem Park­platz drehen darf.

Er wirft die Trai­nings­ta­sche nach hinten, damit wir zusteigen können. Erstaun­lich schmal ist er, seine dünnen Beine scheinen der Kupp­lung kaum gewachsen. Ent­schul­di­gung, Kevin, bist du wirk­lich der Mann, der vor nicht einmal 48 Stunden in der Cham­pions League, beim 3:0 gegen Olym­pique Mar­seille, so stark war wie ein Stier? Den Welt­fuß­baller Lothar Mat­thäus als über­ra­gend“ bezeich­nete? Dessen Gesicht in Groß­auf­nahme, wenn die Schweiß­perlen vom kan­tigen Kinn tropften, dem eines Boxers ähnelte, der den letzten, ent­schei­denden Schlag bereits in der Faust spürt?

Lob als bestes Schmerz­mittel

Auf dem Platz bin ich ein anderer Mensch als im Pri­vaten“, sagt er, mitt­ler­weile auf der Ter­rasse von Bäcker Grobe unweit des Trai­nings­zen­trums ange­langt. Im Schatten seines Gelän­de­wa­gens parkt ein alter Renault mit BVB-Schal auf der Hut­ab­lage, Groß­kreutz saugt an seinem Tuffi-Fei­er­abend­kakao. Da spüre ich keine Erschöp­fung, keinen Schmerz.“

Im Spiel gegen Mar­seille hat er sich die Nase gebro­chen, oben­drein war ein Weis­heits­zahn ent­zündet, die Wange ist noch immer ziem­lich dick. Trotzdem hielt er 90 Minuten durch, war Dort­munds Bester. Erst in der Nacht fing das ganze Gesicht an zu pochen. Den Tag darauf ver­brachte er in seiner Dop­pel­haus­hälfte, lag im Bett, über ihm die Borus­sen­poster, die Wimpel, sein erstes Trikot – Schrein seiner noch immer kind­li­chen Liebe zum BVB. Die Eltern Martin und Pia, die nebenan wohnen, schauten nach ihm, brachten Kühl­ele­mente. Der kleine Bruder Lenny, sein größter Bewun­derer, rief: Samstach bisse wieder fit!“

Muss ja, denn dann will Groß­kreutz gegen Glad­bach zum Ein­satz kommen, unbe­dingt. Es sind die Wochen, in denen er den ver­letzten Lukasz Piszczek auf der Rechts­ver­tei­di­ger­po­si­tion ver­tritt. Er macht das sehr gut, noch viel besser als erhofft. Das ist seine Chance, nachdem im neuen Super­mit­tel­feld kaum noch Platz für ihn bleibt. Jetzt bloß nicht locker­lassen. Das Lob vom Trainer ist das beste Schmerz­mittel. Ich habe Kevin nicht von unge­fähr schon häufig als tak­ti­sches Genie bezeichnet“, sagt Jürgen Klopp. Er schafft es Jahr für Jahr, sich auf unter­schied­lichsten Posi­tionen mit unter­schied­lichsten Anfor­de­rungen wei­ter­zu­ent­wi­ckeln.“

Die Welt besteht nicht nur aus der Süd­tri­büne

Draußen vor der Bäckerei führt Groß­kreutz den Stroh­halm vor­sichtig in den geschwol­lenen Mund und guckt ein biss­chen reser­viert aus der Kapuze. Fragt, ohne zu fragen: Was soll das für eine Geschichte werden? Muss er schon wieder als der Dort­munder Proll her­halten? Als kickendes Mas­kott­chen, unge­achtet der Tat­sache, dass er längst Leis­tungs­träger bei einem Top­klub ist? Als der noto­ri­sche Ultra-Profi, der sich so gern mit Schal­kern anlegt? Er wirkt jetzt noch scheuer als vorhin im Gelän­de­wagen.

Die Skepsis ist ange­bracht, spä­tes­tens seit die Sport Bild“ ihm im Februar 2010, da war er gerade ein halbes Jahr im Kader, einen soge­nannten Fra­ge­bogen vor­legte. Den Halb­satz Wenn mein Sohn Schalke-Fan wird, dann …“ ver­voll­stän­digte er, indem er das vor­ge­ge­bene „… kommt er ins Heim“ ankreuzte. Er hielt das für einen Spaß. Als die Bild“ tags darauf titelte: Dort­mund-Star Groß­kreutz spottet: Wenn mein Sohn Schalke-Fan wird, kommt er ins Heim!“, ver­ging ihm das Lachen. Eine erste schmerz­liche Erfah­rung, dass die Welt nicht nur aus der Dort­munder Süd­tri­büne besteht.

In Gel­sen­kir­chen ein Feind­bild

Ich kannte mich damals mit Zei­tungen nicht so gut aus“, sagt er heute, ohne dass man das Gefühl bekommt, daran hätte sich etwas grund­le­gend geän­dert. Aber vor­sich­tiger ist er im Umgang mit ihnen zwei­fellos geworden, miss­traui­scher. Mit Schre­cken erin­nert er sich an die Droh­an­rufe wild gewor­dener Schalke-Fans, die folgten. Man werde seinem kleinen Bruder die Beine bre­chen, seinen Eltern in den Kopf schießen, hieß es. Eines Tages waren 35 Groß­kreutz-Feinde auf dem Weg zum Haus der Familie, die Polizei musste sie stoppen. Dass sein Auto an einer Tank­stelle in Herne mal mit Rasier­schaum ein­ge­hüllt wurde, ist dagegen nicht viel mehr als ein kleiner Streich. Bun­des­liga-Folk­lore, über die er dann doch wieder lachen kann. Mit ein biss­chen Abstand jeden­falls.

Sicher, er ist nicht nur falsch zitiert worden. Er mag die Blauen“, wie er sie nennt, ja wirk­lich nicht und hat das auch gezeigt, in teils befremd­li­cher Weise. Noch im März 2012, nach einem ziem­lich glück­li­chen Pokal­sieg des BVB beim Zweit­li­gisten SpVgg Greu­ther Fürth sprang er vor dem Ex-Schalker Gerald Asa­moah auf und ab wie ein los­ge­las­sener Kampf­hahn. Im Gegenzug war Cle­mens Tön­nies, Auf­sichts­rats­vor­sit­zender der Gel­sen­kir­chener, sich nicht zu schade, ihn als Hass­pre­diger“ zu bezeichnen, und Manager Horst Heldt zielte bei einem Tor­wand­schießen eines Fan­klubs im Hoch­sauer­land mit Schma­ckes auf sein Kon­terfei, das aus den Löchern lugte. Kevin Groß­kreutz nimmt ihm das ernst­lich übel.