Der Ber­liner Breit­scheid­platz gleicht einem Par­al­lel­uni­versum. Ein Fuß­ball-Käfig mit gift­grünem Plas­tik­rasen steht dort wie ein zu groß gera­tener Pop-up-Store zwi­schen Gedächt­nis­kirche und Europa-Center: Wäh­rend drum­herum das Ber­liner Stadt­leben wei­ter­tobt, tum­meln sich in dieser kleinen Schneise des Fuß­balls heute Men­schen, die man sonst unter Brü­cken, auf Park­bänken oder an Bahn­höfen ver­mutet.

Nur wenige Wochen nach dem Ber­liner Cham­pions-League-Finale treten Mann­schaften aus sieben ver­schie­denen Län­dern beim Euro­pean Home­less Cup an, einem der wich­tigsten inter­na­tio­nalen Tur­niere im Obdach­lo­sen­fuß­ball. Die Spieler hier sind keine Pro­fi­sportler“, sagt Sozi­al­stadtrat Carsten Engel­mann bei seiner Eröff­nungs­rede, daher wird es heute auch keine Kor­rup­ti­ons­skan­dale geben“. Einige Facetten und Cha­rak­tere des großen Fuß­ball­ge­schäfts sind aber auch hier im Kleinen wie­der­zu­er­kennen.

Der Zuschauer
Rico, 38, war mal Flie­sen­leger und Tischler. Nun ist er seit Jahren arbeitslos und von der Obdach­lo­sig­keit bedroht: Sein Ver­mieter möchte ihn lieber heute als morgen aus der Woh­nung schmeißen. Bei mir ist viel schief­ge­laufen“, sagt er. Das Schlimmste ist, dass ich mich für nichts mehr moti­vieren kann.“ Jetzt sitzt er auf der kleinen Tri­büne am Breit­scheid­platz und ist gespannt auf das Tur­nier: Ich musste mal wieder raus aus meiner Bude, unter Men­schen“, sagt er. Die Loca­tion hier ist gut gewählt. Mitten im Zen­trum der Macht. Geil.“

Rico, ein drah­tiger Typ mit Kappe, Bar­ca­shirt und Nike-Snea­kers, beob­achtet auf­merksam die Auf­wärm­übungen der deut­schen Mann­schaft. Ocker-Beige Berlin“ nennen sich die Spieler, acht Ber­liner Woh­nungs­lose zwi­schen Anfang 20 und Ende 50. Trai­niert werden sie von den Street­wor­kern des Ver­eins Gangway“, der das heu­tige Tur­nier mit­or­ga­ni­siert.

Rico erzählt, dass er diese Woche zum ersten Mal mit­trai­niert und gleich den Mann­schafts­führer Ole böse am Knie erwischt hat. So kurz vor dem Tur­nier. Der war ziem­lich pissig“, sagt Rico. Und die Wut scheint noch nicht ver­raucht. Das merkt man, als besagter Ole mit Knie­ban­dage beim Warm­ma­chen den Ball mit voller Wucht gegen die Bande knallt, hinter der Rico sitzt. Kampf­an­sage“.

Am liebsten würde Rico selbst auf dem Platz stehen, er hat lange in der Jugend gespielt. Aber die anderen sind ein­fach schon länger dabei. Die anderen, das sind unter anderem Chris­tian, der Tor­wart, der mit Son­nen­brille im Tor steht und Hassan, ein kleiner, rund­li­cher Türke, den sie den Bullen vom Bos­porus“ nennen.
 
Dann geht das erste Spiel der Deut­schen gegen Polen los. Es wird nach spe­zi­ellen Regeln gespielt, den Stra­ßen­fuß­ball­re­geln: Drei Feld­spieler, ein Tor­wart. Der vor­derste Angreifer einer Mann­schaft muss bei einem Angriff des Geg­ners hinter der Mit­tel­linie warten, sodass dieser in der Über­zahl ist. Ole ver­gibt eine Chance frei­ste­hend vor dem Tor. Nicht nach­denken, Ole“ ruft Rico.

In diesem Moment rast ein Fer­rari über den Ku’Damm am Breit­scheid­platz vorbei. Nur ein kurzes rotes Flim­mern, dann ist er ver­schwunden. Passt zur Ver­an­stal­tung“, sagt Rico. 6:8 ver­lieren die Deut­schen am Ende, obwohl der Bulle vom Bos­porus“ und Ole jeweils zwei Treffer erzielt haben. Ent­täuscht schlei­chen die Spieler vom Feld, alle sind hoch­mo­ti­viert und wollen unbe­dingt gewinnen. Zeit für einen Small­talk mit Ole.