Der Bökelberg in Mönchengladbach galt jahrelang als Symbol für eine vergessene Fußballkultur. Vor genau zehn Jahren fand dort das letzte Bundesligaspiel statt. Ein Rückblick.
Manchmal habe ich das Gefühl, diese kurze Passage im Vereinslied ist eine der wenigen Dinge, die geblieben sind. „Samstagmittag geht es los, im Stadion zum Bökelberg.“ Alle zwei Wochen schallt der Satz durch den Borussia-Park, die neue Heimat von Borussia Mönchengladbach. An den Bökelberg denken in diesem seelenlosen 50.000-Zuschauer-Stadion am Stadtrand, wo der Verein mittlerweile wieder zu sportlichem Ansehen gefunden hat, vermutlich nur noch wenige.
Heute vor zehn Jahren fand das letzte Bundesligaspiel am Bökelberg statt. Samstag, 22. Mai 2004, Gladbach gegen 1860 München. Gesichertes Mittelfeld gegen Klassenerhalt – ein typisches Spiel für dieses alte Stadion, diesen nicht schönen, aber doch charmanten Betonklotz mitten in Mönchengladbach. Kampf, Leidenschaft, Emotionen. Und am Ende: der Abschied von einer Kultstätte.
Flutlichtmasten als Bewacher des Stadions
Auf dem Bökelberg spürte man damals die Wehmut förmlich über die steilen Stehplatzränge wehen. Ich war wohl nicht der einzige Borusse, der die eine oder andere Träne verdrückte. Selbst eingefleischte 1860-Fans berichteten später, sie seien froh gewesen, dieses Stadion verabschiedet zu haben. Dabei stieg ihre Mannschaft an diesem Tag ab. 3:1 siegte die Borussia, Arie van Lent köpfte vor 34.500 Zuschauern das letzte Bundesligator, Uwe Kamps wurde Minuten vor dem Ende zum Abschluss seiner Karriere eingewechselt. Ein würdiger Schlussakt.
Der Bökelberg war besonders, in vielerlei Hinsicht. Als ich an diesem 22. Mai 2004 die steile Straße Richtung Stadion hinaufging, schaute ich mich noch einmal um. Berg? Die 61 Meter, die das Stadion über Normalnull lag, als Berg zu bezeichnen, ist schon etwas gewagt. Auf dem weiteren Weg zum Stadion, durch die enge Bökelstraße, tauchten zwischen den Häuserspitzen immer wieder die Flutlichtmasten auf. Vier stählerne Riesen, die immer ein bisschen so aussahen, als würden sie den Bökelberg bewachen. Was sie schon alles beobachten konnten.
Die Anwohner verschanzten sich
Zum letzten Mal schlenderte ich auch an den kleinen noblen Stadtvillen rund um das Stadion vorbei. Die Anwohner hatten sich in den letzten Jahren hinter weißen Mauern verschanzt oder Parkverbote durchgeboxt. Wer hatte schon Lust, sich von Proleten mit Kutte oder zehn Schals ums Handgelenk in den Vorgarten pinkeln oder sich die Einfahrt zuparken zu lassen? Einige wenige witterten beim samstäglichen Trubel aber auch das Geschäft ihres Lebens und vermieteten den Stellplatz vor dem Eigenheim an Imbisswagenbesitzer oder das hauseigene Gäste-WC an notdürftige Fans.
81 Jahre lang beheimatet der Bökelberg Borussia Mönchengladbach. Büchsenwurf, Pfostenbruch, Meisterschaften, Abstieg, Aufstieg. Mitten in der Stadt baute der Verein in seiner Pionierzeit das Gelände „De Kull“, eine ehemalige Kiesgrube, zu einem der modernsten Stadien Deutschlands um. Das war irgendwann in den Siebzigern. Die Zeit verging, der Bökelberg blieb so wie er war. Ein neuerlicher Versuch, das Stadion komplett umzubauen, scheiterte Ende der Neunziger an den Anwohnern. Sie hatten genug. Also entschied sich der Verein zum Stadion-Neubau.
Heppos Frauen und Oscars Umzüge
Wir Fans mussten uns vom damals ältesten Stadion der Bundesliga verabschieden. Von den kleinen Kassenhäuschen am Fuße des Stadionwalls, vor denen sich Fan und Verkäufer noch per Handschlag begrüßten. Von den Ordnern, die Vater und Sohn für ein “Schmiergeld“ von fünf Mark ohne Karte lächelnd durchwinkten. Von den drei nicht überdachten Stehplatztribünen, auf denen man im Sommer bei gefühlten 50 Grad stand und nach Regenschauern nass bis auf die Unterhose nach Hause fuhr. Von den schäbigen Holzhütten, in denen Bier und Wurst verkauft wurden.
Und von den kultigen Werbesprüchen, die Stadionsprecher Rolf Göttel niederrheinisch trocken durch die Lautsprecher verkündete. „Ob Norden, Süden, Osten, Westen – Heppos Frauen sind die Besten“ oder „Oscar Esser macht den Umzug besser“. Beim heutigen Stadionbesuch zwischen nerviger Fan-Box und aufwendig produzierten Image-Filmchen kaum vorstellbar.
„Steht auf für den Bökelberg“
Am 22. Mai 2004 war das noch Tagesordnung. Gut, vielleicht hatten Heppos Frauen ausgedient, der Charme des Bökelbergs entwickelte sich trotzdem. Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als ich ein letztes Mal die steilen Stufen in meinen Stehplatzblock hinunterstolzierte. Die per Hand-Tacker bearbeitete Dauerkarte in der Hand, das satte Grün vor Augen. Der typische Geruch von Bratwurst, Schweiß und verschüttetem Bier.
Zwei Minuten vor dem Abpfiff, erhob sich damals das ganze Stadion und sang: „Steht auf für den Bökelberg“. Eigentlich totaler Blödsinn, ein Stadion so zu feiern. Uns schien das angemessen. Unter Tränen verabschiedeten wir den Bökelberg ins Grab. Heute stehen dort, wo früher Netzer oder Heynckes über den Platz wirbelten, moderne Villen. Immerhin etwas ist geblieben. Ein Gesang in der neuen Heimat: „Samstagmittag geht es los, im Stadion zum Bökelberg…“