Vor 20 Jahren schuf Giovanni Trapattonis „Flasche-leer“-Rede sein Vermächtnis beim FC Bayern. Ein Glück für ihn, dass es damals noch keine GIFs gab.
Natürlich ist es zu viel verlangt, die Phantasie heutzutage dahingehend auszudehnen, dass sich der FC Bayern einst in Konkurrenz zu einem Verein namens 1. FC Kaiserlautern befand. Schon klar. Allerdings stammt der FC Bayern nunmal aus München, wo es vor 20 Jahren bereits die Säbener Straße gab und auch die Maxime, dass nach einem Sieg bloß eins zählt: der nächste Sieg.
Insofern hatte München an den ersten Märztagen 1998 nicht wirklich gute Laune. Und ja, liebe Kinder, das waren jene Epochen, von denen immer die Rede ist, wenn Menschen mit schütterem Haar und Bauchansatz über spannende Meisterschaftsentscheidungen palavern. Vor zwei Dekaden um diese Zeit thronte wahrhaftig Kaiserslautern an der Tabellenspitze, sieben Punkte (!) vor Bayern, was dort eine Sinn- und Staatskrise auslöste, sportbedingt zwar, aber sowas bedeutet ja oft: Es ist ernst.
Der Mittelscheitel war der Undercut der Neunziger
Sonst so? Der Mittelscheitel war der Undercut dieser Modebewegung; Deutschland musste nicht ein halbes Jahr auf eine Regierung warten, sondern Anfang März noch ein halbes Jahr auf den politischen Erdrutsch; Jupp Heynckes war ein 52-jähriger Herr, den sie „Osram“ nannten, weil er leuchtete wie eine Glühbirne, der aber, trotz oder wegen dieser Leuchtreklame, in Bälde mit Real Madrid die Champions League gewinnen würde. Danach entließen sie ihn.
Sein Berufskollege Giovanni Trapattoni ging auf die 59 zu, kommende Woche würde er Geburtstag feiern, und er beabsichtigte, ihn als Trainer des FC Bayern anzutreten. Eigentlich war Trapattoni eher Mister denn Trainer, ein weltgewandter, spektakulär erfolgreicher Typ mit Herz, Stil und jener Grandezza, die nicht zufällig ein italienisches Wort ist und kein deutsches. Der Ex-Spitzenfußballer arbeitete in zweiter Amtszeit bei Bayern, im Vorjahr hatte er den Titel geholt, und die Fans liebten ihn.
Aber er lag halt sieben Punkte hinter Kaiserslautern.
Ein Haufen profilierungssüchtiger Egozentriker
Schlimmer noch: Er verantwortete einen Haufen profilierungssüchtiger Egozentriker, die Sorge trugen, dass Münchens Boulevardjournalisten nicht um Arbeitsplätze und ‑aufträge zu fürchten brauchten. Nicht zuletzt deshalb waren die Aufführungen zwischen den Spielen zumeist unterhaltsamer als die Spiele selbst. FC Hollywood, in Reinkultur.
Buch und Regie dieses tragikomischen Theaters verhielten sich einigermaßen in Einlang, solange Trapattonis Rasenschach ein 1:0 über Hansa Rostock garantierte.
Die kaiserliche Hoheit Franz Beckenbauer mochte über Ballverächter im Bayern-Trikot mit Drohgebärde spotten, aber beim Rekordmeister sollten sich Ergebnis- und Erlebnisfußball erst viel, viel, später in harmonische Symbiose fügen (ungefähr dann, als ein Mann von 67 Jahren, den sie aus Respekt nicht mehr „Osram“ nannten, die Champions League gewann. Danach ersetzten sie ihn.).