Eigentlich könnten sie zufrieden sein in Heidenheim. Im oft so schwierigen zweiten Jahr hat der Klub in der Dritten Liga mit dem Abstieg nichts zu tun, ist angekommen im Profifußball. Eine reife Leistung für einen Verein, der vor einigen Jahren noch in der sechsten Liga gekickt hat und eine kleine Stadt mit 50000 Einwohnern, die auf ihrer Homepage erklärt, was in der Walpurgisnacht erlaubt ist und was nicht: „Ein volles Kübele aufs Vordach mit einer Schnur zur Haustür? Geht! Einen Eimer voll Waschpulver in den Gartenteich? Geht nicht!“
In Heidenheim ist aber alles ein bisschen anders. Der Klub kommt hat in den vergangenen sieben Jahren drei Aufstiege geschafft, wurde schon mit einem anderem Emporkömmling aus Süddeutschland, der TSG Hoffenheim, verglichen. Auch die reihte Aufstieg an Aufstieg, bis sie irgendwann in der Bundesliga angekommen war. So weit ist es in Heidenheim noch längst nicht, doch auch hier hat sich durch die Erfolge der vergangenen Jahre die Zufriedenheitsgrenze verschoben. Und so weiß Holger Sanwald, der Geschäftsführer des Klubs, nicht so recht, was er von der Situation halten soll: „Wir sind noch nicht zu einem endgültigen Urteil gekommen, ob wir mit der Saison zufrieden sind.“
Lange war zumindest Relegationsrang drei im Blick, eine Serie von neun sieglosen Spielen ließ aber alle Aufstiegsträume platzen. Sanwald ärgert sich: „Die Mannschaften, die um Platz drei kämpfen – Dresden, Offenbach, Erfurt, Wehen –, sind eigentlich mit uns auf Augenhöhe. Uns hat leider die Konstanz gefehlt.“
Das Gefühl, dass in diesem Jahr mehr möglich gewesen wäre, nagt an den erfolgsverwöhnten Heidenheimern. Mangelnde Konstanz ist da vielleicht noch schlimmer als mangelnde Qualität, denn eine Verbesserung der Qualität ist leichter zu planen als Konstanz. Und gründlich geplant wird hier seit Jahren, die Entwicklung und die Aufstiege waren nie Zufall, sondern immer als Resultat harter Arbeit einkalkuliert.
Eine Stadt und ihr Verein
Der Fußballverein 1. FC Heidenheim 1846 ist dabei kein isoliertes Projekt eines fußballliebenden Mäzens, sondern das einer ganzen Region. Aus der Wirtschaft unterstützen die erfolgreichen Heidenheimer Unternehmen Hartmann (Gesundheitsbranche, Jahresumsatz im vergangenen Geschäftsjahr ca. 1,6 Milliarden Euro) und Voith (Maschinenbau, Jahresumsatz im vergangenen Geschäftsjahr ca. 5,2 Milliarden Euro) den Verein. Bei Hartmann, seit 1999 Hauptsponsor, habe Sanwald Trainer Frank Schmidt auch „mal einen Job besorgt“, als der noch nicht hauptamtlich Coach war. Voith hat sich erst mit dem Aufstieg in die Dritte Liga 2009 engagiert und für zehn Jahre die Namensrechte für das Stadion erworben.
Auch die Politik unterstützt den Klub nach Kräften: Sanwald, selbst für die CDU im Gemeinderat, lobt, Oberbürgermeister Bernhard Ilg (CDU) habe „Unglaubliches geleistet“. Bürgermeister Rainer Dombert (SPD) sitzt im Aufsichtsrat und kontrolliert die Arbeit des Präsidiums. Diese überparteilichen Verquickungen machen es leichter, die für Großprojekte wie den Stadionbau wichtigen Mehrheiten zu erhalten.
Selbst bei der Mannschaft zählt der Heimatgedanke. Ein fünfköpfiges Scouting-Team beobachtet im Raum Süddeutschland akribisch und lockt diejenigen Spieler, die es für gut befindet, nach Heidenheim. Noch nie hat der Klub dabei eine Ablöse bezahlt. Prototypisch für die Heidenheimer Einkaufspolitik steht Verteidiger Fabian Aupperle, der vor der Saison vom rund 80 Kilometer entfernten Regionalligisten SG Sonnenhof Großaspach kam. Der 25-Jährige schaffte die Umstellung auf Liga drei ohne große Mühe, stand schon zu Saisonbeginn in der Anfangself und kommt in seiner ersten Profi-Saison mittlerweile auf 27 Einsätze. Noch besser klappte es bei Stürmer Patrick Mayer, mit 19 Toren Top-Torjäger der Liga. Er kam nach dem Aufstieg 2009 von der zweiten Mannschaft von Eintracht Frankfurt und hat mittlerweile das Interesse mehrerer Zweitligisten auf sich erzogen. Verkaufen will Heidenheim ihn trotz eines Marktwerts von 800000 Euro (Quelle: transfermarkt.de) aber nicht. Der Klub geht die nächsten Schritte lieber mit seinen Spielern gemeinsam.
Der Aufstieg wird kommen – wann, ist nicht wichtig
Also alles im Lot, ein Vorzeigeklub, allseits anerkannt und beliebt? Natürlich nicht. Kritikern gilt Heidenheim als Retortenklub, finanziert von den Großunternehmen Hartmann und Voith, ohne Fankultur und Tradition. Wasser auf die Mühlen ist es da nur, dass der 2007 aus einer Abspaltung vom Heidenheimer SB hervorgegangene 1. FC Heidenheim 1846 die Tradition demonstrierende Jahreszahl in den Namen aufnahm, auch wenn auf der Homepage eingeräumt wird, dass da „noch keiner an Fußball dachte“.
Aber um Missverständnisse zu vermeiden: Hartmann und Voith sponsern den Verein, sie treten dort nicht als Mäzene auf, die den Klub maßlos mit Geld vollpumpen. Und von den Fans wird Heidenheim auch angenommen: Die Zuschauerzahl ist im Vergleich zur Vorsaison um etwa 15 Prozent gestiegen, mit knapp 6000 Fans pro Spiel liegt Heidenheim auf Rang sechs der Zuschauertabelle der Dritten Liga. Von Aufstieg zu Aufstieg steigt der Zuspruch. Langsam, aber stetig.
Heidenheims Heimatprojekt ist keines, das am Reißbrett entstanden ist. Es ist vielmehr ein organisch wachsendes. Eigentlich gibt es nur eine logische Fortsetzung des Wegs: den Aufstieg in Liga zwei. Auf die Frage, ob es einen Zeitplan dafür gibt, reagiert Sanwald aber allergisch: „Nullkommanull. Da halte ich nichts von. Ich habe vor 17 Jahren in der Landesliga hier angefangen. Wir haben unsere Aufstiege immer dann geschafft, wenn es hundertprozentig gepasst hat. Ob wir in zwei oder in fünf Jahren zweite Liga spielen, das ist nicht so wichtig.“
Das „Ob“ verrät Sanwald zwischen den Zeilen: Die Verantwortlichen halten den nächsten Aufstieg nur für eine Frage der Zeit. Das Projekt wird größer werden.