Jenseits des Gartenzwergbiedermeiers waren Schrebergärten immer ein Ort, an dem Fußball geguckt und über Fußball geredet wurde. Welcher Verein regiert, ist meist auf den ersten Blick zu erkennen.
Manchmal hat es auch Vorteile, wenn die Industrie stirbt. Neben der Schrebergartenanlage „Tremonia“ in der Nähe des Dortmunder Kreuzviertels lagen früher ein Steinbruch und eine Zeche, heute ist die Gegend ein Naherholungsgebiet. Was bedeutet, dass „Tremonia“ für weitere 50 Jahre an diesem Ort bleiben darf.
In wessen Hoheitsgebiet wir uns befinden, ist nicht schwer zu erkennen: Alles, was hier nicht grün ist, ist gelb-schwarz. An einem haushohen Fahnenmast flattert eine BVB-Fahne im Wind, und würde man bis ganz oben hochklettern, könnte man in nicht allzu großer Ferne das Stadion sehen. „Wenn man den Weg kennt, ist man in zehn Minuten da“, sagt Thomas Kröger, der zusammen mit seiner Schwester Marion die Gartengaststätte betreibt.
In drei Stunden spielt Borussia gegen Eintracht Frankfurt, und dann werden eine Menge Leute kommen und sich hier im Fernsehen ein Fußballspiel ansehen, das kaum einen Kilometer entfernt stattfindet. Aber noch ist nicht viel los und genug Zeit, sich über die Schrebergärtnerei zu unterhalten, die im Gegensatz zu anderen klischeetypischen Ruhrgebietsphänomenen nicht vom Untergang bedroht ist. „Es gibt hier 36 Gärten“, sagt Kröger, „und wenn mal einer frei wird, ist der ratzfatz wieder vergeben. “ Am Busen der Natur, soweit die Kohle es zulässt. Dem Zeitgeist hin zum vermeintlich Gesunden, ethisch Korrekten versucht die Gastwirtschaft Rechnung zu tragen, indem sie neben Currywurst und Konsorten leichte mediterrane Kost und einmal in der Woche gar ein veganes Menü anbietet.
Da wird der Gartenzwerg in der Pfanne verrückt und vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass die traditionell gestrickten Gärtner und das Lokal inmitten ihrer Anlage zwar in weitgehend friedlicher Koexistenz, aber doch nebeneinander herleben. „Wenn, dann sind die sonntags mit drei, vier Leuten da und das war’s“, meint Thomas Kröger. „Mit denen brauchst du nicht zu rechnen, aber das würde ich auch nicht machen: Wenn ich nen Schrebergarten hab, stell ich mir da nen Kühlschrank rein und ne Kiste Bier. Da brauch ich nicht noch inne Kneipe zu gehen.“ Ein älterer Herr bezahlt seinen Kaffee und beginnt mit dem Wirt einen Ruhrpottdialog für die Ewigkeit. „Einmal zahlen, bitte.“ – „Eins- Komma-acht. Oder drei D‑Mark sechzig, kannste mir auch geben.“ – „Hier haste zwei Euro. Hau nich alles auf’n Kopp! Man sieht sich.“ – „Jetzt gehste bestimmt zum Friedhof.“ – „Nein. Friedhof ist immer Sonntag angesagt.“ Pause. „94 wär se jetzt geworden, die Mutter. Gott hab sie selig.“ Schwer zu glauben, dass dieser Mann beim veganen Abend vorbeischaut.
Es erscheinen ein Dutzend Mitglieder des BVB-Fanklubs „Sectatores Tremoniae“, fast alle zwischen Anfang und Mitte zwanzig. Vor jedem Heimspiel kommen sie in den Schrebergarten, um sich bei Wurst und Bier auf den Stadionbesuch einzustimmen. Die meisten sind aus dem Stadtteil Eving, woher auch der volkstümliche Dortmunder Held Kevin Großkreutz stammt, der folgerichtig Ehrenpräsident der „Sectatores Tremoniae“ ist. Es sind vom Erfolg verwöhnte junge Menschen, denen in ihrem Fanleben nichts Schlimmeres widerfahren ist als vielleicht eine Derbyschmach gegen Schalke oder das eine oder andere Heimunentschieden gegen Energie Cottbus. Als sie sich auf den Weg zum Stadion machen, sehen sie siegesgewiss aus – und das zurecht: Borussia Dortmund gewinnt am Nachmittag mit 4:0. Endstation Sehnsucht, jetzt aber mal echt.