Heute wird Ralf Falkenmayer 60 Jahre alt. In der Frankfurter Mannschaft von 1992 wurde er von Bein, Möller und Yeboah überstrahlt. Dabei hätte er heute das Zeug zur ganz großen Nummer.
Uwe Bein machte es einem leicht. Er glitt durch die gegnerischen Defensivreihen, spielte Pässe vom anderen Stern. Die Fans lieben ihn bis heute. Oder Andreas Möller, der Killer mit dem Babyface. Der spielte Powerfußball wie ihn die Liga zuvor nicht oft gesehen hatte. Und dann war ganz vorne ja auch noch Tony Yeboah, der Sturmbulle mit der Durchschlagskraft eines Braunkohlebaggers. Sie alle standen in vorderster Front, wenn die Lobeshymnen auf jenen „Fußball 2000“ erklangen, mit dem Eintracht Frankfurt die Bundesliga Anfang der Neunziger auf links zog. Lauthals prahlten sie in den Gazetten über die neue Rangordnung im deutschen Fußball, drängten sich ins Rampenlicht, wenn mal wieder ein paar Schulterklopfer mit Geldkoffern Kurs auf das Waldstadion nahmen. Dabei wäre sie alle nur die Hälfte wert gewesen ohne ihn, Ralf Falkenmayer.
Der defensive Mittelfeldmann mit der imposanten Naturkrause, bleibt bis heute eines der großen Mysterien jener Frankfurter Jubeljahre. Denn während die Möllers und Beins für die Zauberei zuständig waren, staubsaugte Falkenmayer in ihrem Rücken den Dreck weg. Und den gab es zuhauf in der Bundesliga. Ruhig, unauffällig, zuverlässig: Das waren die Attribute, mit denen man sein Spiel umschreiben konnte. Attribute, die seinerzeit keinen Star machten, sondern eine graue Maus. Lediglich sein goldener Ohrstecker – ein Glücksbringer, dem ihm seine Mutter einst geschenkt hatte und den er nach eigener Aussage niemals ablegte – verlieh seinen Auftritten etwas Glanz. Kaum auszudenken, welchen Stellenwert ein Spieler wie Falkenmayer heute, in der Glanzzeit des Sechsers, genießen würde. In den Neunzigern jedoch gebührte ihm so gut wie keine Aufmerksamkeit. Im Gegenteil, in nahezu jedem Bericht über den Mittelfeldmann gibt es eine Spitze über seine seinerzeit bundesligauntypische Statur: 1,73 Meter groß, nur 60 Kilogramm schwer, vielen Beobachtern war dieser schmächtige Hänfling mit der wallenden Mähne irgendwie suspekt.
Dabei erinnern sich die Anhänger der Eintracht nur zu gerne an einen klassischen „Falke“: an den Gegenspieler heranschleichend, blitzte er mit seinen dürren Beinen dazwischen, stibitzte den Ball, schirmte das Spielgerät perfekt ab und schob es mit der Seite trocken weiter zu den großen Galeristen. Jenes blitzschnelle Umschalten galt damals als glanzloses Beiwerk, heute jedoch ist es längst der zentrale Moment des Spiels. Es war seine Königsdisziplin. Dass Falkenmayer dennoch nie als Vorbild für heutige Sechser genannt wird, ist auch seiner Schüchternheit zuzuschreiben. Einmal soll er einen „Bild“-Reporter Stunden nach dem Interview angerufen haben, um sich für seine vermeintliche Maulfaulheit zu entschuldigen: „Hinterher fallen mir immer die besten Antworten ein. Aber während sie mich interviewen, weiß ich nicht, was ich sagen soll.“ Als der Junge aus den Sozialbauten der Frankfurter Nordwest-Stadt kurzfristig zur EM 1984 nachnominiert wurde, wunderten sich Journalisten, dass der Frankfurter sich beim Training immer so umständlich die Jogging-Hose festhalten musste. Der Grund: Der Zeugwart hatte dem Debütanten zwei Nummern zu große Trainingssachen ausgeteilt, der Jungspund hatte sich nicht getraut, das anzusprechen. Er schwieg und reihte sich in der zementieren Hackordnung ganz unten ein.
Und während Mediziner („Selbst Paul Breitner erreichte in seinen Glanzzeiten nicht die Spitzenwerte Falkenmayers“ / Sportarzt Pauk Nowacki), Trainer („Er wird ein ganz Großer. Ein absoluter Musterprofi.“ / Berti Vogts) und Mitspieler („Wir nennen ihn E.T. Weil er auf dem Feld einen außerirdischen Überblick hat“ / Charly Körbel) von Falkenmayer schwärmten, sucht man den gelernten Schwimmmeistergehilfen in den großen Erzählungen über den Frankfurter Fast-Titel 1992 nahezu vergeblich. Es scheint, als scheute er die Öffentlichkeit genauso, wie diese ihn.
Und so war es nur symptomatisch, dass Ralf Falkenmayer im Sommer 1996 trotz seiner großen Verdienste für den Verein so schnöde entsorgt wurde wie ein angerostetes Dienstauto. Trainer Dragoslav Stepanovic zählte seinen Veteranen öffentlich an („Er ist einfach zu langsam“), ein kleinlicher Streit zwischen Hölzenbein und Falkemayers Frau besiegelte den Rest. Nach 16 Jahren und knapp 400 Bundesligaspielen für die Eintracht war kein Platz mehr für ihn. In der Folge schlug er Angebote aus Mainz und Japan aus, wechselte stattdessen zum Regionalligisten Eintracht Trier, wo er 1998 nach einem Knöchelbruch seine Laufbahn beenden musste. Er trat ab, wie er stets auftrat: heimlich, still, leise.