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Mit Geschenken ist es immer so eine Sache. Oft gut gemeint, lösen sie beim Beschenkten nicht selten Unwohl­sein statt Herz­klopfen aus. Bei meiner Schwester und mir etwa haben Prä­sente mit Fremd­schäm­faktor Tra­di­tion. Einmal schenkte sie mir einen schlichten Metall­stab, den sie kur­zer­hand als prak­ti­schen Ker­zen­ständer anpries, anstatt zu gestehen, dass sie meinen Geburtstag ver­gessen hatte. Dass ich bis dato noch nie eine Kerze in meinem Zimmer stehen hatte und der ver­meint­liche Ständer jede Stand­fes­tig­keit ver­missen ließ: Neben­sache. Im Gegenzug schenkte ich ihr zu Weih­nachten einen Was­ser­ko­cher, weil sie ja so gerne Tee trinke, nur um zu erfahren, dass sie seit Jahren aus­schließ­lich auf Fil­ter­kaffee ver­traut.

Nur so viel: Manchmal flossen sogar Tränen, weil wir nicht fassen konnten, wie wenig gut wir uns kannten. So wurde die Sache mit dem Schenken über die Jahre nicht unbe­dingt unkom­pli­zierter. Und viele Dinge sind seitdem ohne große Worte auf dem Müll gelandet. Im Grunde habe ich nur eines dieser zahl­rei­chen Miss­ver­ständ­nisse auf­be­wahrt: eine alte VHS-Kas­sette, die mir meine Schwester vor zehn Jahren mit den Worten: Guck mal, hab ich auf dem Floh­markt ent­deckt“ über­reichte. Ich drückte mir ein gequältes Lächeln aus den Mund­win­keln. Seitdem umgibt dieses Video eine gewisse mys­ti­sche Aura.

Steffi Grafs Per­len­ohr­ringe

Denn die Frage, was eigent­lich auf dieser Kas­sette gespei­chert ist, lässt sich nicht abschlie­ßend klären. Nun gut, immerhin hat der Vor­be­sitzer die Kas­sette ordent­lich beschriftet. Darauf steht: Pokal­fi­nale 1988 / Ein­tracht Frank­furt gegen VfL Bochum“. Doch ich bin ein kri­ti­scher Mensch und glaube nichts ein­fach nur so, weil es irgendwo steht. Im Gegen­teil, ich stelle es in Frage. Und da ich auch nie­mals einen Video­re­korder besaß – lange Jahre hatte ich nicht mal einen Fern­seher –, bleiben offene Fragen. Und so stehe ich noch heute ab und an gedan­ken­ver­loren vor meinem DVD-Regal und denke dar­über nach, was sich auf meiner ein­zigen Video­kas­sette ver­steckt.

Viel­leicht ja das legen­däre US-Open-Finale 1988. Die schüch­terne Steffi Graf ringt Gabriela Saba­tini nieder und gewinnt als erste Deut­sche und dritte Spie­lerin über­haupt alle Grand-Slam-Tur­niere in einem Jahr. Peter Graf reist seine Arme in die Luft, das weiße Polo-Hemd frisch gestärkt. Steffis Perlen-Ohr­ringe glänzen im glei­ßenden Son­nen­licht von Flus­hing Mea­dows. Eine Stern­stunde des Welt­sports. Tage, in denen sich die Rei­chen und Schönen weder für ihre Föhn­wellen noch für die FDP schämen mussten.
 

Oder findet sich hier das legen­däre 100-Meter-Finale der Männer von Seoul? Ein Muskel namens Ben Johnson pul­ve­ri­siert den Welt­re­kord, reißt demons­trativ den Finger in die Luft, die Gold­kette schlägt an die ste­ro­id­ge­tränkten Schnurr­bart­haare, die gelben Augen starren in die Ferne. Von hinten durch­bohrt ihn der trau­rige Blick des nicht minder voll­ge­pumpten Carl Lewis. Der Moment, als der Sport end­gültig seine Unschuld verlor.

Wun­derbar wäre es aber auch, wenn ein paar Folgen der Schwarz­wald­klinik“ auf das Magnet­band gebannt wären. Der samt­weiche Schwe­re­nöter Sascha Hehn, wie er im Cabrio davon­brau­send den Kran­ken­schwes­tern den Kopf ver­dreht. Der char­mante Dr. Klaus Brink­mann, der jede noch so klaf­fende Wunde mit Non­cha­lance und Alters­milde zuge­näht bekam. Weich­ge­zeich­nete Momente, die eine ganze Repu­blik zum Träumen ein­luden. Träume von einem bes­seren Gesund­heits­system, sicheren Renten, blü­henden Land­schaften.

Aber natür­lich besteht auch die Gefahr in mensch­liche Abgründe zu bli­cken. Was, wenn hier pri­vate Erotik-Auf­nahmen aus einem fremden Schlaf­zimmer in meine Hände geraten sind? Behaarte Ach­seln, wab­be­lige Bauch­falten, schmat­zende Intim­be­reiche. Wack­lige Kame­ra­füh­rung, Fein­ripp­un­ter­wä­sche im ulti­ma­tiven Rei­be­test. Momente der Liebe, ver­dorrte Schmud­del­phan­ta­sien einer längst ein­ge­schla­fenen Ehe. All das schwirrt mir manchmal durch den Kopf, wenn die unschul­dige Kas­sette in meinem Regal stehen sehe. Es macht mir Angst.

Das ver­schwitzte Maulfwurf­haar von Wlod­zi­mierz Smo­larek

Doch hoffe ich ins­ge­heim natür­lich auf eine schlichte Auf­nahme des wohl lang­wei­ligsten DFB-Finales der jün­geren Ver­gan­gen­heit. Die mono­tonen Gesänge von der Tri­büne, die ein­schlä­fernde Kom­men­tie­rung von Heri­bert Faß­bender. Auf dem Feld wogt das ver­schwitzte Maulfwurf­haar von Wlod­zi­mierz Smo­larek hin und her, tapst Uwe Lei­feld hauch­zart ins Abseits und glänzen die bunten Schuhe von Lajos Detari, mit denen der Ungar in der 81. Minute den ent­schei­denden Zau­ber­frei­stoß in den Giebel schmei­chelt. Wun­der­bare Erin­ne­rungen an stumpfen Arbei­ter­fuß­ball, an eine unbe­schwerte Fuß­ball­zeit fernab der Super­la­ti­vie­rung heu­tiger Tage. All das setzt seit Jahren bei mir zuhause Staub an. Es ist eine Schande.

Doch die Tage werden dunkler, das Wetter bedrü­ckender und bald schon ist Weih­nachten. Und dieses mal habe ich einen Plan: Ich werde meiner Schwester einen kon­kreten Wunsch zukommen lassen. Liebes Schwes­ter­herz, ich brauche keine Ker­zen­ständer, keine Was­ser­ko­cher, keine Gut­scheine mehr. Ich habe genug davon. Alles, was ich brauche, ist ein Video­re­korder.