Frankfurt gegen Bochum im DFB-Pokal: Seit Jahren treibt unserem Autor Benjamin Kuhlhoff diese Konstellation den Angstschweiß auf die Stirn. Zur heutigen Neuauflage des Finalduells von 1988 klärt er uns nun endlich auf, warum.
Mit Geschenken ist es immer so eine Sache. Oft gut gemeint, lösen sie beim Beschenkten nicht selten Unwohlsein statt Herzklopfen aus. Bei meiner Schwester und mir etwa haben Präsente mit Fremdschämfaktor Tradition. Einmal schenkte sie mir einen schlichten Metallstab, den sie kurzerhand als praktischen Kerzenständer anpries, anstatt zu gestehen, dass sie meinen Geburtstag vergessen hatte. Dass ich bis dato noch nie eine Kerze in meinem Zimmer stehen hatte und der vermeintliche Ständer jede Standfestigkeit vermissen ließ: Nebensache. Im Gegenzug schenkte ich ihr zu Weihnachten einen Wasserkocher, weil sie ja so gerne Tee trinke, nur um zu erfahren, dass sie seit Jahren ausschließlich auf Filterkaffee vertraut.
Nur so viel: Manchmal flossen sogar Tränen, weil wir nicht fassen konnten, wie wenig gut wir uns kannten. So wurde die Sache mit dem Schenken über die Jahre nicht unbedingt unkomplizierter. Und viele Dinge sind seitdem ohne große Worte auf dem Müll gelandet. Im Grunde habe ich nur eines dieser zahlreichen Missverständnisse aufbewahrt: eine alte VHS-Kassette, die mir meine Schwester vor zehn Jahren mit den Worten: „Guck mal, hab ich auf dem Flohmarkt entdeckt“ überreichte. Ich drückte mir ein gequältes Lächeln aus den Mundwinkeln. Seitdem umgibt dieses Video eine gewisse mystische Aura.
Steffi Grafs Perlenohrringe
Denn die Frage, was eigentlich auf dieser Kassette gespeichert ist, lässt sich nicht abschließend klären. Nun gut, immerhin hat der Vorbesitzer die Kassette ordentlich beschriftet. Darauf steht: „Pokalfinale 1988 / Eintracht Frankfurt gegen VfL Bochum“. Doch ich bin ein kritischer Mensch und glaube nichts einfach nur so, weil es irgendwo steht. Im Gegenteil, ich stelle es in Frage. Und da ich auch niemals einen Videorekorder besaß – lange Jahre hatte ich nicht mal einen Fernseher –, bleiben offene Fragen. Und so stehe ich noch heute ab und an gedankenverloren vor meinem DVD-Regal und denke darüber nach, was sich auf meiner einzigen Videokassette versteckt.
Vielleicht ja das legendäre US-Open-Finale 1988. Die schüchterne Steffi Graf ringt Gabriela Sabatini nieder und gewinnt als erste Deutsche und dritte Spielerin überhaupt alle Grand-Slam-Turniere in einem Jahr. Peter Graf reist seine Arme in die Luft, das weiße Polo-Hemd frisch gestärkt. Steffis Perlen-Ohrringe glänzen im gleißenden Sonnenlicht von Flushing Meadows. Eine Sternstunde des Weltsports. Tage, in denen sich die Reichen und Schönen weder für ihre Föhnwellen noch für die FDP schämen mussten.
Oder findet sich hier das legendäre 100-Meter-Finale der Männer von Seoul? Ein Muskel namens Ben Johnson pulverisiert den Weltrekord, reißt demonstrativ den Finger in die Luft, die Goldkette schlägt an die steroidgetränkten Schnurrbarthaare, die gelben Augen starren in die Ferne. Von hinten durchbohrt ihn der traurige Blick des nicht minder vollgepumpten Carl Lewis. Der Moment, als der Sport endgültig seine Unschuld verlor.
Wunderbar wäre es aber auch, wenn ein paar Folgen der „Schwarzwaldklinik“ auf das Magnetband gebannt wären. Der samtweiche Schwerenöter Sascha Hehn, wie er im Cabrio davonbrausend den Krankenschwestern den Kopf verdreht. Der charmante Dr. Klaus Brinkmann, der jede noch so klaffende Wunde mit Nonchalance und Altersmilde zugenäht bekam. Weichgezeichnete Momente, die eine ganze Republik zum Träumen einluden. Träume von einem besseren Gesundheitssystem, sicheren Renten, blühenden Landschaften.
Aber natürlich besteht auch die Gefahr in menschliche Abgründe zu blicken. Was, wenn hier private Erotik-Aufnahmen aus einem fremden Schlafzimmer in meine Hände geraten sind? Behaarte Achseln, wabbelige Bauchfalten, schmatzende Intimbereiche. Wacklige Kameraführung, Feinrippunterwäsche im ultimativen Reibetest. Momente der Liebe, verdorrte Schmuddelphantasien einer längst eingeschlafenen Ehe. All das schwirrt mir manchmal durch den Kopf, wenn die unschuldige Kassette in meinem Regal stehen sehe. Es macht mir Angst.
Das verschwitzte Maulfwurfhaar von Wlodzimierz Smolarek
Doch hoffe ich insgeheim natürlich auf eine schlichte Aufnahme des wohl langweiligsten DFB-Finales der jüngeren Vergangenheit. Die monotonen Gesänge von der Tribüne, die einschläfernde Kommentierung von Heribert Faßbender. Auf dem Feld wogt das verschwitzte Maulfwurfhaar von Wlodzimierz Smolarek hin und her, tapst Uwe Leifeld hauchzart ins Abseits und glänzen die bunten Schuhe von Lajos Detari, mit denen der Ungar in der 81. Minute den entscheidenden Zauberfreistoß in den Giebel schmeichelt. Wunderbare Erinnerungen an stumpfen Arbeiterfußball, an eine unbeschwerte Fußballzeit fernab der Superlativierung heutiger Tage. All das setzt seit Jahren bei mir zuhause Staub an. Es ist eine Schande.
Doch die Tage werden dunkler, das Wetter bedrückender und bald schon ist Weihnachten. Und dieses mal habe ich einen Plan: Ich werde meiner Schwester einen konkreten Wunsch zukommen lassen. Liebes Schwesterherz, ich brauche keine Kerzenständer, keine Wasserkocher, keine Gutscheine mehr. Ich habe genug davon. Alles, was ich brauche, ist ein Videorekorder.