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Ein Hauch von Don Vito Cor­leone lag in der Luft. Ein Angebot, das man nicht aus­schlagen kann“, nennt Filip Krstic rück­bli­ckend den Ver­trag, der seine Fuß­ball­kar­riere ver­än­dern sollte. Es läuft die Saison 2006/07, als ihn der FC Valencia haben will. Er soll einen Zwei-Jahres-Ver­trag unter­schreiben, dazu gibt es eine Option auf 36 wei­tere Monate. Nur Form­sache, dass diese irgend­wann gezogen wird, erzählen ihm die Spa­nier. Krstic ist 18 Jahre jung, ser­bi­scher Junio­ren­na­tio­nal­spieler, er hat sich bei der U17-EM mit Eng­lands Theo Wal­cott duel­liert. Er ist Links­ver­tei­diger, die werden bekannt­lich immer gesucht, und aktuell Kapitän der A‑Jugend von Hertha BSC. Zuvor spielte er jah­re­lang im Nach­wuchs des FC Bayern Mün­chen. Krstic könnte auch in Berlin ver­su­chen, über die U23 in den Pro­fi­kader vor­zu­stoßen, einen Ein-Jahres-Ver­trag hat er dort noch. Dazu rät ihm sein Vater. Der Berater Dusan Bukovac tut es nicht. Er hat den Valencia-Deal ein­ge­fä­delt, die große Kar­riere geplant. Krstic hat eine Woche Bedenk­zeit. Dann unter­schreibt er. Der Traum kann beginnen.

Juli 2012. Filip Krstic sitzt in einem Hotel in Berlin-Mitte. Es gehört den Eltern seiner Freundin. Der gebür­tige Münchner ist zurück in seiner Wahl­heimat. Statt FC Valencia heißt sein Verein heute Ber­liner AK. Regio­nal­liga Nordost statt Pri­mera Divi­sión. Die große Fuß­ball­welt ist für ihn passé. Manchmal wird er noch daran erin­nert, zuletzt bei der EM. Dort sah er die Weg­ge­fährten von einst, David Villa, Mats Hum­mels, Raul Albiol, Thomas Müller. Doch das ist lange her. In meiner Kar­riere sind sehr viele Dinge sehr unglück­lich gelaufen“, sagt der 23-Jäh­rige und nippt an seinem Wasser. Aus den anvi­sierten fünf Jahren beim FC Valencia wurden gerade einmal sechs Monate. Gespielt hat für den spa­ni­schen Top­klub nie. Der Traum war kurz. Das Erwa­chen dauert bis heute an.

Als Krstic im Sommer 2007 nach Valencia kommt, scheint alles orga­ni­siert zu sein. Das Gehalt fließt regel­mäßig. Genaue Zahlen will er nicht nennen, den Zehn­tau­send-Euro-Bereich pro Monat gibt er zur Ori­en­tie­rung preis. Er bekommt eine eigene Woh­nung, ein Auto, eine Mit­ar­bei­terin auf der Geschäfts­stelle spricht deutsch und küm­mert sich um sämt­liche Anliegen. Nur bei einer Sache sind auch ihr die Hände gebunden: Die Spiel­erlaubnis fehlt. Der Sport­di­rektor Arm­adeo Car­boni wurde ent­lassen, kurz bevor ich in Valencia ankam. Er hatte mich ver­pflichtet und wollte mich langsam ins Team ein­bauen. Der neue Sport­di­rektor (Angel Ruiz, d. Red.) hatte eine andere Phi­lo­so­phie, wollte lieber auf spa­ni­sche Jugend­spieler und nicht auf junge Aus­länder setzen. Er plante nicht mit mir“, erläu­tert Krstic. Ruiz passt es in diesen Tagen sehr gut, dass Car­boni die fäl­lige Ablöse für Krstic – rund 350000 Euro – noch nicht nach Berlin über­wiesen hat. Die Hertha pocht auf das Geld, Valencia wei­gert sich, es zu zahlen – Krstics Spiel­erlaubnis hängt in der Luft. Sie wird nie in Valencia ankommen.

Krstic trai­niert fleißig. Der Trainer, Quique Sán­chez Flores, lässt ihn mittun, auch wenn er ihn nicht ein­planen kann. Der Groß­teil der Mann­schaft akzep­tiert ihn. Wirk­lich große Spieler erkennt man daran, dass sie einem jungen Spieler immer helfen wollen“, lernt Krstic in dieser Zeit. David Villa, später Europa- und Welt­meister, ist so einer. Der Star­stürmer mun­tert ihn immer wieder auf, nimmt ihn in den Arm, albert mit ihm herum. Nikola Zigic, der wie Krstic aus Ser­bien stammt, lernt mit ihm die spa­ni­sche Sprache, isst mit ihm regel­mäßig zu Mittag. Ich habe mich nie einsam gefühlt in Valencia“, sagt Krstic. Doch bei Spielen in der Pri­mera Divison, in der Cham­pions League oder im Pokal sitzt er nur auf der Tri­büne. Ein unbe­frie­di­gender Zustand, an dem sich auch nach Monaten nichts ändert. Krstic zieht die Kon­se­quenzen, sieht sich nach Alter­na­tiven um. Ich wollte nicht ein­fach meinen Ver­trag absitzen.“ Er spricht mit Berater Dusan Bukovac, der die nächsten Ange­bote an der Angel hat: FC Genua oder AS Livorno. Serie A, Ita­lien. Nicht mehr die ganz großen Ver­eine Europas, aber das ist Krstic egal. Er will spielen, zu einer Mann­schaft gehören. Er unter­schreibt nach einem Pro­be­trai­ning für drei Jahre in Livorno. Weil ich mich dort sehr gut auf­ge­nommen gefühlt habe.“

Der AS Livorno steckt im Abstiegs­kampf, aber was für Krstic viel schlimmer ist: Das Warten auf die Spiel­erlaubnis geht zunächst weiter. Auch Livorno zahlt die von Hertha gefor­derte Ablöse erst mit Ver­zö­ge­rung. Erst Anfang März ist auch der letzte Cent seiner Ablöse in Berlin ange­kommen, darf Krstic in Pflicht­spielen auf­laufen. Es kommt zum Duell mit Gio­vanni Pas­quale um den Links­ver­tei­di­ger­posten. Pas­quale, der heute bei Udi­nese Calcio spielt, schenkt Krstic nichts. Um den neuen Kon­tra­henten ein­zu­schüch­tern, beginnt er immer früher mit dem Trai­ning als es der Trainer ver­langt. Krstic eifert ihm nach. Nicht selten sind die beiden die ersten am Trai­nings­platz. Doch letzt­lich spielt immer der erfah­re­nere Pas­quale. Krstic kommt nur einmal, am letzten Spieltag – mitt­ler­weile ist Livorno abge­stiegen – zum Ein­satz, wird bei der 1:2‑Niederliage in Empoli ein­ge­wech­selt. Es ist bis heute sein ein­ziger Ein­satz in einer euro­päi­schen ersten Liga.

Wenn es nach Dusan Bukovac gegangen wäre, hätte sich Krstics Reise quer durch die Welt fort­ge­setzt. Nach dem Ende der Saison 2007/08 holte er Ange­bote aus den ersten Ligen in Por­tugal, Zypern, ja sogar Dubai für seinen Kli­enten ein. Ich war 19. Das war doch keine Per­spek­tive für mich. Ich wollte lieber in Livorno bleiben.“ Sein sechs Monate zuvor abge­schlos­sener Ver­trag mit den Ita­lie­nern galt jedoch nicht für die zweite Liga. Livorno bot ihm einen neuen Kon­trakt an, aller­dings mit weitaus weniger Gehalt. Das wäre mir egal gewesen. Ich fühlte mich wohl, sah dort die Per­spek­tive, zu spielen.“ Doch die Ver­hand­lungen gerieten schnell ins Sto­cken. Von Bukovac trennen mag sich Krstic zunächst aber nicht. Berater haben sehr viel Ein­fluss auf einen jungen Spieler“, sagt er dazu heute. Sätze wie Du bist wie ein Sohn für mich“ beein­druckten ihn. So hielt sich Krstic in Livorno ein halbes Jahr fit, ohne dass sich ver­trag­lich etwas tat. Erst dann trennte er sich von Bukovac. Zu spät: Livorno hat auf seiner Posi­tion mitt­ler­weile für Nach­schub gesorgt. Krstic muss end­gültig gehen. 

Ein­ein­halb Jahre hat der Deutsch-Serbe als aktiver Spieler auf dem Buckel, in der Bilanz stehen bis zur Win­ter­pause der Saison 2008/09 ledig­lich 32 Pflicht­spiel-Minuten. Als junger Spieler musst du spielen“, betont Krstic. Was er dort an Praxis verlor, wird er nie wieder auf­holen können. Dazu kommt ein pri­vater Schick­sals­schlag. Krstics Vater erkrankt schwer an Kehl­kopf­krebs. Da hat sich Krstic gerade Arminia Bie­le­feld ange­schlossen. Jede freie Minute macht er sich auf den rund 700 Kilo­meter langen Weg nach Mün­chen, um bei der Familie zu sein. Ich hatte den Kopf nicht frei für Fuß­ball. Mitt­ler­weile habe ich gelernt, damit umzu­gehen. Doch das ver­passte meiner Kar­riere einen Knick.“ Krstic läuft par­allel in der zweiten Bie­le­felder Mann­schaft in der Ober­liga auf und schielt nach oben. Er hat einen För­derer: Jörg Böhme, damals Kotrainer der Arminia-Reserve, emp­fiehlt den Chef­trai­nern (erst Michael Front­zeck, später Thomas Gerster) immer wieder, Krstic mal eine Chance zu geben. Doch sie kommt nicht. Ich frage mich noch heute, warum man mich über­haupt geholt hat.“ Nach einem Jahr bricht er in Bie­le­feld seine Zelte ab.

SV Babels­berg, SpVgg Unter­ha­ching, FSV Frank­furt II – die wei­teren Sta­tionen offen­baren bei seiner Vor­ge­schichte einen sport­li­chen Absturz. Ein Pro­be­trai­ning bei New Eng­land Revo­lu­tion hätte ihm um ein Haar einen Fünf-Jahres-Ver­trag in der ame­ri­ka­ni­schen Major League Soccer gebracht. Warum er nicht unter­schrieb? In den USA wech­selt man nicht zu einem Verein, son­dern bindet sich an die Liga. Es besteht die Gefahr, her­um­ge­reicht zu werden, ein halbes Jahr hier, ein halbes Jahr dort zu spielen.“ Davon hatte Krstic genug. Die großen Ange­bote werden vor­erst nicht mehr kommen, das weiß er. Und ist gerade des­halb froh, zurück in Berlin zu sein. Dort kennt er das Umfeld und hat in Jens Härtel einen Trainer, der auf ihn baut. Mein größter Fehler war es, in so jungen Jahren Berlin zu ver­lassen und zu Valencia zu wech­seln“, gibt er zu. Mit dem großen Fuß­ball hat er aller­dings noch nicht zu 100 Pro­zent abge­schlossen. Aus einem ganz spe­zi­ellen Grund. Ich will ver­su­chen, nochmal weiter nach oben zu kommen. Damit mein Vater stolz auf mich sein kann.“