Doping 1954, 1966 und 1974? Deutschland diskutiert erstmals seit Jahren wieder über Doping im Fußball. Dass es den Betrug auch im Fußball gibt, ist nicht neu. Die Verbände gehen das Problem trotzdem nicht an. Das Kontrollsystem hat nach wie vor große Lücken.
Informationen zu Doping im Fußball gibt es reichlich. Wer die richtigen Leute fragt, bekommt klare Antworten. Stefan Matschiner, ehemaliger Sportmanager aus Österreich, hat bis vor wenigen Jahren selbst Fußballer versorgt – mit Testosteron und Epo. Raffaele Guariniello, italienischer Staatsanwalt, hat den Doping-Skandal von Juventus untersucht und 40.000 Seiten Akten angehäuft über Doping in Turin. Wer ehemalige Spieler aus den 70er und 80er Jahren anruft, gerät relativ schnell an Athleten, die über Aufputschmittel berichten. In der DDR sind auch im Fußball die üblichen Steroide eingesetzt worden. Trotzdem hat der deutsche Fußball das Problem nie Ernst genommen. Gehandelt haben DFB-Funktionäre stets nur auf öffentlichen Druck.
„Wer sich mit der Dopinggeschichte in Deutschland beschäftigt, wird sehen, dass der DFB immer einer der letzten Verbände war, der in die Füße kam, was die Dopingbekämpfung anging“, sagt Erik Eggers. „Und dann auch noch unter größtem Druck.“ Eggers ist Journalist und Historiker und hat an der aktuell viel diskutierten Studie zum Doping im Westdeutschland mitgewirkt. Lange Jahre, sagt Eggers, habe sich der DFB den Dopingkontrollen verweigert. „Bewegung kam erst in die Sache, als Toni Schumacher sein Buch ›Anpfiff‹ veröffentlicht und für einen Riesenskandal gesorgt hat. Daraufhin hat man irgendwann, unter großen Druck, doch Dopingkontrollen eingeführt”, sagt Eggers.
Fußball als Vorreiter im Anti-Doping-Kampf?
Der Fußball selbst stellt sich als Vorreiter im Anti-Doping-Kampf dar. Weltweit nehme seine Sportart die mit Abstand meisten Kontrollen, betont FIFA-Chefmediziner Jiri Dvorak in Gesprächen gern. Was er dabei unterschlägt: Es ist auch die Sportart mit den meisten professionellen Athleten.
Für deutsche Fußballer lässt sich die Häufigkeit der Kontrollen relativ leicht umrechnen. 1644 mal ist der Urin deutscher Fußballer im Jahr 2012 laut Jahresbericht der Nationalen Anti-Doping Agentur NADA nach einem Spiel getestet worden. Eine große Zahl. Das Problem: Die Zahl der zu testenden Sportler ist noch viel größer. Der DFB – der die Wettkampfkontrollen nicht von der NADA, sondern von eigenen Ärzten durchführen lässt – testet in insgesamt 13 Spielklassen: in der ersten, zweiten, dritten Bundesliga, in allen drei Regionalligen, in der Frauen-Bundesliga, in sechs Junioren-Bundesligen (je drei bei A- und B‑Jugend) und im DFB-Pokal. Das sind geschätzte 5000 Spieler. Jeder Athlet muss im Schnitt nur alle drei Jahre sein Urin abgeben. Wobei beim DFB gilt: Je stärker die Liga, desto häufiger Kontrollen.
Zusätzlich nimmt die NADA 500 Trainingskontrollen pro Jahr. Bis zuletzt ist auch hier nur Urin getestet worden. Lange hatte sich der DFB gegen Blutkontrollen gewehrt, obwohl manche Substanzen nur im Blut nachzuweisen sind. Erst seit dieser Saison darf die NADA auch Blut von Fußballern untersuchen. Allerdings wird es wohl maximal 100 Blutkontrollen für die Profis der ersten beiden Ligen geben, fast 1000 Spieler. Der Großteil der Blutkontrollen dürfte bei Nationalspielern genommen werden. Alle anderen Spieler haben somit kaum etwas zu befürchten, zumal sie ohnehin nur während der offiziellen Trainingszeiten getestet werden. Überraschende Besuche zu Hause gibt es im Fußball nur für Nationalspieler. Schuld an der extrem dürftigen Kontrolldichte ist der Deutsche Fußball-Bund: Er weigert sich, mehr Geld für Kontrollen bereit zu stellen. Das ist erstaunlich, kosten den DFB die bisherigen Kontrollen geschätzt doch nur etwa 350.000 Euro – bei einem Rekordumsatz von mehr als zwei Milliarden Euro sind das weniger als 0,02 Prozent der Einnahmen.
Auch der Fußball-Weltverband FIFA hat eine Offensive im Anti-Doping-Kampf verkündet. Seit der Klub-Weltmeisterschaft 2011 in Japan speichert die FIFA ihre Dopingproben für acht Jahre. Bis dahin wurden sämtliche Proben bereits drei Monate nach einem Turnier vernichtet. Alte Proben konnten so nicht mit neuen Nachweismethoden überprüft werden. Aus den jetzt gelagerten Blut- und Urinwerten ergeben sich die Parameter, aus denen das neue biologische Profil zusammengesetzt wird. Die Theorie: In Zukunft sollen stark schwankende Werte auf ein mögliches Dopingvergehen hindeuten. Eine neue indirekte Beweismethode, von der FIFA als Revolution im Anti-Doping Kampf zelebriert. Doch die Revolution ist bislang nicht mehr als Augenwischerei. Die FIFA testet ihre Sportler fast ausschließlich bei großen Turnieren, nicht während der Saisons, nicht überraschend. Nur wenn alle Verbände inklusive der UEFA, dem DFB und der NADA systematisch zusammenarbeiten würden, könnte nach jahrelanger Aufbauarbeit eine relevante Datenbank entstehen. Andere Sportarten – zum Beispiel die Radprofis – sind da schon deutlich weiter.
Beckenbauer: „Mit Doping haben wir nichts zu tun“
In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind in Deutschland 20 Spieler des Dopings überführt worden. Es ist erstaunlich, dass überhaupt Spieler auffällig wurden. Das Kontrollsystem, erst 1988 eingeführt, war lange Jahre weitaus miserabler, als es heute immer noch ist. So ist nicht verwunderlich, dass viele Spieler mit scheinbar harmlosen Substanzen erwischt wurden: mit Marihuana, Bestandteilen von Schnupfenmitteln (kann auch aus Aufputschmitteln stammen) oder Haarwuchsprodukten (kann zur Verschleierung von Doping dienen).
Die Diskussionen um die Dopingstudie werden vermutlich bald verebben und der Fußball kann es sich erneut in seiner „mit Doping haben wir nichts zu tun“-Haltung bequem machen. Das zeigen die aktuellen Interviews von Leuten wie Franz Beckenbauer oder Joachim Löw. Beckenbauer will bei der WM 1966 nichts von Doping gewusst haben. Dabei musste er damals selbst zur Dopingkontrolle. Und Jogi Löw fordert mit Bezug auf die aktuelle Studie, das Namen genannt werden müssen. Ansonsten könne er nur sagen, dass es in den vergangenen Jahren reichlich Kontrollen gegeben habe. Es ist bezeichnend, wie unbeeindruckt die Akteure das Problem wegmoderieren. Offenbar kann nur ein wirklich großer Dopingskandal dazu führen, dass DFB und DFL das Thema tatsächlich angehen.
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Unser Autoren recherchieren regelmäßig zum Thema Doping im Fußball. Alle Recherchen und ein Kontakt zu den Autoren finden sich auf fussballdoping.de