Die Erfolgsgeschichte des Swansea City FC begann vor über 30 Jahren mit der Brieffreundschaft zweier Jungs. Nun gehört ihnen der Klub, der die Giganten der Premier League zum Wahnsinn treibt.
Fuck you very much. Das ist die Antwort, die John van Zweden und David Morgan geben, wenn sie eines Tages ein Scheich fragen sollte, ob er ihnen den Swansea City FC abkaufen kann. Den Klub, den sie selbst vor zehn Jahren für 25 001 Pfund gekauft haben und der jetzt, nach dem Aufstieg in die Premier League, 60 Millionen wert ist. Das Zweitausendvierhundertfache. Manch einer würde bei solch einer Gewinnmarge zumindest darüber nachdenken. Aber verkauft man das, was man liebt? Und dann auch noch an einen Scheich? Niemals! Fuck you very much.
Wales ist da, wo Männer Schafe heiraten
John und David haben dieses Funkeln in den Augen. Wie Jäger, die einen kapitalen Hirsch zur Strecke bringen wollen. Wie Kinder, die das Geschenkpapier aufreißen. Wie Fußballfans eben, an jedem Wochenende, das von Neuem das Potential für die größte Sensation birgt, die die Welt je gesehen hat. Es ist der Morgen vor dem Heimspiel gegen Manchester City, den Klub also, der tatsächlich einem Scheich gehört. Dort hat niemand fuck you gesagt, als 2008 Mansour bin Zayed al Nahyan einstieg und fast eine Milliarde Pfund investierte. Dass man Erfolg offenbar kaufen kann, ist für viele Anhänger eine erfreuliche Option, nachdem sie so lange darauf verzichten mussten. Letztes Jahr gewannen die Citizens mit dem FA-Cup ihre erste Trophäe seit 1976. Nach Swansea fahren sie nun als Tabellenerster. In einem ganz in Silber gehaltenen Bus voller Megastars.
Der Weg führt sie über die Autobahnen M6, M5 und M4, über Stoke, Swindon und Cardiff. Es muss ihnen vorkommen wie ein Abstieg nach dem anderen, bis sie schließlich bei einem Klub vorfahren, dessen größter Erfolg immer noch das Erreichen des Pokalhalbfinales 1926 ist. In Swansea, der ugly, lovely town, wie ihr berühmtester Sohn, der Dichter Dylan Thomas, sie nannte. Mitten in Wales, jenem belächelten Landstrich, von dem sie im Rest des Königreichs behaupten, dass es dort Ehen zwischen Männern und Schafen gebe. Man kann sich Roberto Mancini vorstellen, wie er, das halbe Gesicht im Kaschmirschal versteckt, fassungslos auf endlose Weiden blickt. Und aus dem Autoradio krächzt Bonnie Tyler „Total Eclipse of the Heart“.
Hier wird seit letztem Sommer tatsächlich Premier-League-Fußball gespielt. Der Swansea City FC ist der erste walisische Klub in der stärksten Liga der Welt. Es ist die Geschichte eines Aufstiegs mit bescheidenen Mitteln – und die Geschichte der erstaunlichen Freundschaft zwischen John van Zweden und David Morgan.
Sie begann vor 34 Jahren auf einem Gymnasium im niederländischen Den Haag. John war kein sonderlich begabter Schüler, aber eines muss man ihm lassen: Eine gute Idee hatte er immerhin. Als sein Lehrer ihm in der zehnten Klasse offenbarte, dass seine Englischkenntnisse für die Versetzung nicht ausreichen würden, nahm John nicht etwa Nachhilfestunden – er suchte sich einen Muttersprachler als Brieffreund.
„Ich wollte wissen, wer der Vogel ist“
Dass er ihn per Annonce in der Stadionzeitung des Swansea City FC suchte, scheint zunächst eine bizarre Wahl. Die Swans spielten damals in der vierten Liga und waren auf dem europäischen Festland weitgehend unbekannt. „Aber ich dachte, bei einem kleinen Klub freuen sie sich mehr, wenn jemand mit ihnen befreundet sein will“, sagt John. Erst so wurde aus einer guten Idee eine geniale. Denn genau so kam es.
An einem Spieltag der Saison 1977/78 stand der vierzehnjährige Waliser David Morgan auf der Tribüne des Vetch Field. In der dürftig zusammengetackerten Stadionzeitung stieß er auf Johns Annonce: „Pen Pal Wanted!“ – Brieffreund gesucht! Er riss sie heraus und steckte sie in sein Portemonnaie. Noch am Abend schrieb er in die Niederlande. „Ich musste es tun“, sagt David. „Schon allein, um zu erfahren, wer dieser Vogel ist.“
David bewahrte John nicht nur vorm Sitzenbleiben. Indem er ihm einmal in der Woche selbstverfasste Dossiers über seinen Klub schickte, machte er auch ihn zum Swansea-Fan. Zwei Jahre nach dem ersten Brief setzte sich John in Den Haag ins Auto und fuhr nach Wales, um die Swans endlich leibhaftig zu erleben. „Er kam mit einem orangefarbenen Opel Ascona um die Ecke“, sagt David. „Es war das hässlichste Auto, das ich je gesehen hatte. Aber das war nicht schlimm. Denn auf der Fahrertür prangte der Swansea-Aufkleber, den ich ihm geschenkt hatte.“ Sie zogen durch die Pubs in der Wind Street, in denen sich schon Dylan Thomas besoffen hatte. Sie angelten im Meer, allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Manchmal studierten sie mit Kennerblick walisische Schmutzheftchen. Aus den Brieffreunden wurden Freunde fürs Leben.
Und dann kam auch noch der Samstag, das Spiel gegen Shrewsbury Town. Vom alten Vetch Field her leuchteten die Flutlichtmasten durch den Herbstdunst wie ein blassgelber Heiligenschein. Die Gesänge in den Straßen, auf dem Weg zum Spiel, die unbändige Vorfreude und Zuversicht: Swansea ist eine Stadt, die ihren Klub so sehr liebt, dass sie seine Hässlichkeit jederzeit mit Schönheit zu verwechseln bereit ist. Ugly, lovely club. Der salzige Seewind des Bristolkanals blies durch ihre Parkas, das Spiel ging, wie so oft in jenen Tagen, verloren. „Trotzdem hatte ich mich unsterblich verliebt“, sagt John. „Warum bin ich nicht hier geboren? Das muss ein Irrtum sein.“
Er ist mittlerweile 50 und lebt noch immer in Den Haag, hat dort Familie und sein Tapetengeschäft. Aber den Irrtum des Schicksals konnte er, soweit es eben ging, korrigieren. Auf die Kittel seiner Angestellten ließ er zwei Embleme sticken, das seiner Firma und das seines Klubs. In einer Lagerhalle unterhält er ein Swans-Museum. Gerade hat er für das letzte noch fehlende Stadionmagazin, eine Ausgabe aus dem Jahr 1923, 1000 Pfund ausgegeben. Und jedes Wochenende, nicht selten auch mittwochs, fliegt er auf die Insel, um gemeinsam mit seinem besten Freund David Morgan die Spiele zu besuchen.
Seit zehn Jahren tragen die beiden nun Anzüge, wenn sie ins Stadion gehen. Immer noch sehen sie darin irgendwie verkleidet aus, ein bisschen wie Althauer, die vor Gericht erscheinen müssen. Aber sie sind ja schließlich die Eigentümer. 2002 haben sie den Klub, den sie lieben, gekauft, in der schlimmsten Krise seines hundertjährigen Bestehens.
Damals stand der Swansea City FC auf dem letzten Platz der vierten Liga, der Verband drohte obendrein mit dem Zwangsabstieg. Der australische Besitzer Tony Petty, laut David „einer der beklopptesten Menschen in der Geschichte der Menschheit“, hatte Spieler trotz laufender Verträge entlassen und systematisch Steuern nicht gezahlt. Der Klub, der nie groß gewesen war, drohte vollkommen zu verschwinden.
Fuck you very much
David rief in höchster Not fünf Freunde zusammen, Geschäftsleute und allesamt Swansea-Fans, und fragte sie, ob sie mit ihm zusammen den Klub kaufen und ihn von seinen 300 000 Pfund Schulden befreien wollten. Ohne zu zögern, nannten sie die Summe, die sie berappen konnten. John gab 70 000 Pfund, seine Frau erfuhr erst davon, als es zu spät war. In einem Hotel in Cardiff übergaben sie Tony Petty 25 001 Pfund in bar. Das eine Pfund warfen sie ihm in kleinen Münzen vor die Füße. Fuck you very much.
Die Steuerschuld wurde beglichen, und im letzten Spiel der Saison konnte der Abstieg abgewendet werden. Es war die Stunde Null des Swansea City FC. Drei Ligen ließ er seither hinter sich, im Sommer 2011 setzte er sich in den Play-offs gegen Nottingham und Reading durch und drang in die Premier League vor. Er gehört nun zu den Großen – was nicht heißt, dass er selbst plötzlich groß wäre.
Sicher, das alte Vetch Field ist dem modernen Liberty Stadium gewichen. Und das Maskottchen Cyril, der Schwan, das sich einmal vor Gericht verantworten musste, weil es Zampa, den Löwen vom FC Millwall, mit einem Karatetritt niedergestreckt hatte, ist salonfähig geworden. Doch noch immer besteht die Mannschaft aus Namenlosen, die anderswo durchgefallen sind – zu klein, zu leicht, zu schlecht. Hier in Wales müssen sie sich nach dem Training in einem öffentlichen Fitnesszentrum umziehen, die Trikots waschen sie zu Hause. Ihr Trainer Brendan Rodgers hat zuvor genau zwei Profiklubs trainiert, Reading und Watford, bei beiden wurde er wegen Erfolglosigkeit entlassen. Er hat eine leise, brüchige Stimme und einen Händedruck, der keiner ist. Man sieht ihn in einer Jogginghose voller Farbflecken beim Wochenendeinkauf durch Swansea schlurfen und mit Passanten scherzen. Als wäre all das ein Witz.
Und das ist es ja auch. Ein Witz auf Kosten der Anderen. Der Swansea City FC ist der Klub mit dem geringsten Etat der Liga, aber er spielt berauschenden Fußball. Statistiker haben fast 500 Pässe pro Spiel gezählt, mehr als bei Arsenal, das im Januar prompt mit 2:3 im Liberty Stadium verlor. Die Zeitschrift „FourFourTwo“ zeigte Spielmacher Leon Britton auf einer Fotomontage neben Xavi und schrieb dazu: „Einer von beiden ist der beste Passgeber Europas. Der andere spielt beim FC Barcelona.“
Die hohe Passquote, die Ballsicherheit, das kontrollierte Aufbauspiel, die mannschaftliche Geschlossenheit, der Biss, der Schneid, die Leidenschaft – wie der Swansea City FC seine Erfolge erringt, ist offensichtlich. Aber warum all die Niemande das Zeug dazu haben, ist eines der größten Geheimnisse des zeitgenössischen britischen Fußballs, tief vergraben in Brendan Rodgers vier Quadratmeter großem Büro im Keller des Fitnesszentrums. „Er ist ein Erfindertyp“, sagt David Morgan. „Er tüftelt wochenlang, bis etwas funktioniert. Und wenn man ihn dann fragt, wie er das gemacht hat, sagt er bloß: ›Das versteht ihr doch eh nicht!‹“ Dieser Mann macht wie von Zauberhand aus wenig viel – eine permanente Kränkung für die großen Klubs, bei denen es allzu oft umgekehrt ist.
Kaum Geld gegen viel Geld
Unlängst wurden die Trainer der Premier League vom Verband schriftlich gebeten, sich der Diskussion um die Nachfolge Fabio Capellos zu enthalten. „Kann sein, dass ich diesen Brief auch bekommen habe“, sagte Brendan Rodgers, als Journalisten ihn darauf ansprachen. Sie hatten natürlich längst begonnen, ihn als neuen Nationaltrainer zu handeln. „Aber der liegt bestimmt noch unter irgendeinem Stapel. Fragen Sie besser Roberto Mancini von Manchester City. Der hat eine Sekretärin, die ihn für ihn öffnet, eine, die ihn für ihn liest, und eine, die ihn für ihn schreddert.“
Die Voraussetzungen der Kontrahenten könnten in der Tat nicht unterschiedlicher sein. Kaum Geld gegen viel Geld, Lokalhelden gegen Weltstars, Tapetenhändler John van Zweden gegen Scheich Mansour bin Zayed al Nahyan. Die Reporter brauchen jedenfalls nicht zu warten, bis an diesem Sonntag Leon Britton und Yaya Touré auf dem Platz stehen, der eine 1,65 groß, der andere 1,90, damit sich ihnen der Vergleich zu David gegen Goliath aufdrängt. „Wir werden gewinnen“, sagt John van Zweden ohne jegliche Ironie, bevor er, in seinen Gerichtsterminanzug gekleidet, in der Vorstandsloge Platz nimmt. „Fragt sich nur, wie hoch.“
Es wird knapper, als John vielleicht gehofft hat. Aber deutlicher, als der Rest der Welt erwartet hätte. Von Beginn an kombiniert Swansea Manchester mit schwindelerregenden Ballstafetten in Grund und Boden. City-Stürmer Mario Balotelli, der allein zehnmal soviel verdient wie alle Swans zusammen, sitzt immer wieder beleidigt auf dem Rasen, hadert mit dem Schiedsrichter, sich selbst und diesen Gegenspielern, von denen er nie zuvor gehört hat und die ihn doch zu Tode nerven. Wären sie Fliegen, er würde sie erschlagen.
Bis zum Schluss finden die Citizens kein Mittel. In der 83. Minute fällt der behäbige Goliath endgültig: Stürmer Luke Moore, früher mal Bankdrücker bei Derby County und West Bromwich, köpft zum 1:0 ein. Doch er rastet nicht aus vor Glück, er springt nicht über die Bande oder lässt sich unter einer Jubeltraube begraben – Moore nickt nur seinem Flankengeber zu und lächelt. Sein Trainer Brendan Rodgers hebt den Daumen. Es ist ja bloß ein Matchplan aufgegangen.
Der größte Sieg in der Geschichte des Klubs
Die 20 000 Fans im Liberty Stadium sind gleichwohl außer sich vor Freude. 1:0 gegen den Giganten Manchester City – das lässt sich ohne viel Phantasie zu einem Sieg der wahren Werte über die Macht des Geldes machen. Zum größten Sieg in der Geschichte ihres Klubs. Endlich ist er so schön, wie sie ihn immer schon gesehen haben. Lovely, lovely club. „You pretty fucking blow me away“, singen sie ihren Spielern in die Katakomben hinterher – ihr blast uns verdammt noch mal weg. Da sind sie nicht die Einzigen: Verzückt vom Kombinationsspiel dieser Mannschaft, verleiht die Presse ihr nach dem Sieg den Ehrentitel Swanselona.
Am späten Abend haben sich im Hotel „The Dragon“, in dem John van Zweden wie immer residiert, die sechs Klubeigner eingefunden. Der Klassenerhalt ist den Swans bei vierzehn Punkten Vorsprung auf die Abstiegsränge nun nicht mehr zu nehmen, da sind sie sich sicher. Und je mehr leere Bierbüchsen sich auf dem Couchtisch stapeln, desto mutiger werden die Prognosen. „Wenn das Financial Fairplay erst mal gilt“, lallt David Morgan, „spielen wir in der Champions League.“ Die Regelung soll laut UEFA ab dem Jahr 2015 schrittweise in Kraft treten. Am Ende müssen die Einnahmen die Ausgaben der Vereine decken. Beim Swansea City FC ist das bereits jetzt der Fall. Chelsea hat 2011 hingegen 70 Millionen Pfund Verlust gemacht, Manchester City sogar 140 Millionen.
Der Exitus der alimentierten Riesenklubs mag noch in weiter Ferne liegen. In etwa so weit, wie ein 1:0 gegen den Tabellenführer der Premier League an jenem Tag entfernt lag, als David Johns Annonce im Stadionmagazin las. „Pen Pal Wanted!“ – Brieffreund gesucht! Bis dahin gibt es noch viel zu tun, auch privat. „Johns Englisch ist längst nicht perfekt“, sagt David Morgan. „Ich muss ihn immer noch korrigieren.“