Der Pessimist, der Erfahrene, der Emotionale – im Fanblock und in der Kneipe stehen immer die gleichen Typen neben uns. Ein Psychogramm der härtesten Fußball-Junkies – und was sie am bundesligafreien Wochenende machen.
Es war lange abzusehen, und doch kommt es für jeden Vereinsfan so überraschend und knallhart wie Weihnachten oder der Besuch der buckligen Verwandtschaft: ein bundesligafreies Wochenende. Ein grauer Punkt im Kalender derjenigen, die normalerweise Woche für Woche im Block oder in der Kneipe mit ihrer Herzensmannschaft fiebern. Die meisten Menschen vermisst man erst, wenn sie nicht da sind; mit anderen Worten also an einem Länderspielwochenende. Zeit also für eine Typologie: Wer steht eigentlich Woche für Woche neben einem im Stadion? Und was machen diese Menschen wohl am kommenden Woche, wenn die Bundesliga pausiert?
1.
Der Erfahrene
Ungefähr seit dem Barock-Zeitalter steht der „Erfahrene“ im Fanblock und hat dabei noch mehr Trainer kommen und gehen sehen als Ehefrauen. In all den Jahren ist die Kutte mit seiner Haut verwachsen, unzählige Niederlagen und erbärmliche, torlose Unentschieden an einem nebelverhangenen Freitagabend haben Keith-Richards-artige Furchen in sein Gesicht gegraben.
Er begrüßt sämtliche Ordner im Stadion mit lockerem Handschlag und bekommt Halbzeitbier und ‑bestellung als selbst ernannter Stammesfürst von Block 6 auch ohne Bestellung oder Bezahlung, denkt er jedenfalls. Verschiedene Mythen ranken sich um ihn: Er soll 1981 mit einem geklauten Moped in Adiletten zu einem Testspiel in Usbekistan aufgebrochen sein und danach mehrere Jahre im Untergrund gekämpft haben. Andere Quellen besagen, dass er just zu diesem Zeitpunkt, als aufstrebender A‑Jugendlicher mehrmals Paul Breitner getunnelt habe, woraufhin der Großmeister ihm aus Jähzorn die große Karriere verbaute.
Typische Sätze:
„Wird schwer. Das haben die noch nicht gewonnen.“
„Wenn sie heute gewinnen, dann sieht die Tabelle schon wieder ganz anders aus.“
„Wenn er das pfeift, muss er 20 Elfmeter pro Spiel pfeifen.“
Was er am Länderspielwochenende macht:
Er kann sich endlich um die Familie kümmern. Was nichts anderes heißt, als am Samstag die E- bis B‑Jugend seines Heimatvereins zu coachen, den Platz abzukreiden und wenig später vom Grill weg als umsichtiger Libero für die Altherren verpflichtet zu werden.
2.
Der Statistiker
Es gibt keinen falschen Einwurf, den er nicht in seiner eigenen Statistik auswertet; keinen Angestellten des Vereins, von dem er nicht die Schuhgröße und Blutgruppe kennt, und keine taktische Feinheit, die ihn überraschen könnte. Der Statistiker vergisst nichts. Auch bei wichtigen Fragen, beispielsweise wer das nächste Bier holen soll, besticht er durch sein fotographisches Gedächtnis: „Micha hat die letzten drei Runden geholt und dabei nur 0,25 Liter verschüttet.“
Gern ist er seinen Kollegen dabei behilflich, Daten wie den eigenen Hochzeitstag, den Geburtstag der Kinder oder den Aufenthaltsort des gestrigen Abends zu rekonstruieren. Dabei wirkt er zwar besserwisserisch, wird aber mit Nachsicht behandelt, da er bei Auswärtsspielen nicht nur der Fahrer ist, sondern auch für seine Kollegen häufig die Kaution hinterlegt.
Typische Sätze:
„Gegen die haben wir uns schon immer schwer getan.“
„Entschuldigung, aber das war 1976“
„Dieser Schiedsrichter hat in diesem Jahr schon drei Mal Rot gezückt“
Was er am Länderspielwochenende macht:
In seiner Freizeit, also fernab vom Fußball, findet er tatsächlich noch Zeit, einem geregelten Job nachzugehen. Dieser ist aber so kompliziert, dass ihn sich selbst engste Angehörige nicht merken können. An spielfreien Wochenenden kommt dann aber das Tier in ihm durch, und er sprengt alle Ketten. Da heftet er schon mal gerne seine Kontoauszüge in der verkehrten Reihenfolge ab, schreibt zornige Leserbriefe ans „Geo“-Magazin oder findet sich auf Tauschbörsen für Rollenspieler ein.
3.
Der Pessimist
Bereits der erste Fehlpass eines Spiels bestätigt den Pessimisten in seiner Einschätzung, dass das Spiel „DOCH WIEDER DIE GLEICHE SCHEISSE WIE JEDE WOCHE“ sein wird. Selbst eine 2:0‑Führung bewegt ihn mitnichten zu Jubelstürmen, vielmehr ist er sich jetzt absolut sicher, dass es zu einer bitteren 2:3‑Pleite kommen wird, inklusive eines unberechtigten Elfmeters und klaren Abseitstores des Gegners. Der Pessimist kann sich ca. 20 Minuten über einen Sieg freuen, aber geschlagene drei Wochen über eine Niederlage ärgern.
Sämtliche Highlights wie das Erreichen des Pokalfinales oder der Zukauf eines Stars haben in seinen Augen nur den Sinn, das unausweichliche Scheitern des Teams noch ein Stück tragischer werden zu lassen. Das hat auch Auswirkungen auf sein Privatleben, wehrt er doch selbst Avancen der Dorfschönheiten mit der gleichen Vehemenz ab wie Führungstreffer seiner Mannschaft: „Das geht doch eh wieder in die Buxe.“ Aus diesem Grund hatte er seine letzte Beziehung in den nuller Jahren, genaue Daten kennt aber nur „der Statistiker“.
Typische Sätze:
„Das geht doch eh wieder in die Buxe“
„Das ist doch wieder die gleiche Scheiße wie letzte Woche“
„Ich komm hier nicht mehr hin“.
Was er am Länderspielwochenende macht:
Im Schneidersitz am Seeufer ausharren, Steine ins Wasser werfen und „Nirvana“ hören.
4.
Der Emotionale
Er hat die stärksten Stimmungsschwankungen im gesamten Fanblock. In der einen Sekunde kann er den Trainer verdammen, ihn in die Wüste oder zu Dieter Bohlen wünschen, in der nächsten Sekunde jedoch die in die Tirade einstimmenden Fans ermahnen, „doch verdammt noch mal etwas Geduld“ zu haben. Rom sei schließlich auch nicht an einem Tag erbaut worden, und überhaupt sei jetzt mal Konstanz und Ruhe im Verein vonnöten. Genauso verhält es sich bei einem 1:0‑Führungstor. Da verkündet der „Emotionale“, dass nun ein Kantersieg folgen würde. „Haut der Gummitruppe die Hütte voll, heute kann man mal was fürs Torverhältnis tun, da ist in der Tabelle nach oben noch alles drin.“
Beim 1:1‑Ausgleich wiederum schwant ihm „eine Klatsche“ und „sowieso eine ganz schwere Saison“, in der man so schnell wie möglich 40 Punkte holen muss. Lieblingsfeind des „Emotionalen“ ist der Schiedsrichter, mit dem er gerne mal in den Ring steigen will, wie er fortwährend ruft. Meist kommentiert der „Pessimist“ lakonisch: „So wie du aussiehst, schlägt der dich vor dem ersten Gong k.o.“
Typische Sätze:
„Aaabseits“, „aaaaußen“
„Der Trainer muss wechseln“
„3:3? Hab ich getippt!“
Was er am Länderspielwochenende macht:
An der Börse spekulieren, 53 Packungen Wasserfilter kaufen und bei ebay einstellen, heiraten und sich scheiden lassen, im Auto hupen.
In der nächsten Länderspielpause sollte es dann um andere Typen gehen. Der „Unbeteiligte“, der 90 Minuten von seinem Vorgarten und seinen Katzen erzählt, der „Suffkopp“, der schon angeschickert zur Kartenbestellung kommt, oder der „Schweiger“, der keine Worte verliert, aber immer dabei ist und drei Schachteln „HB“ pro Halbzeit wegqualmt.