Das ist das Schicksal von Fußballfans: Selbst im Schlaf begegnen ihnen die Akteure des Spiels. Hier sprechen drei 11FREUNDE-Redakteure zum ersten Mal öffentlich und schonungslos über ihre schlimmsten Fußball-Albträume. Mit dabei: Carsten Jancker, Winnie Schäfer und Anastacia.
1. Tanzen mit Ribery und Anastacia (Ron Ulrich)
Gestern hatte ich einen wirren Traum und ich wundere mich noch immer ob seiner Handlung. Zunächst einmal ging es darum, dass der Kollege Benni Kuhlhoff und ich ein Interview führen sollten, in unseren Redaktionsräumen. So weit, so normal. Doch bei dem Interviewten sollte es sich um Franck Ribery handeln, also niemand Geringeren als Europas amtierenden Fußballer des Jahres. Auch das wäre aber noch halbwegs realistisch gewesen, hätte es nicht vor einigen Ausgaben ein großes Ribery-Porträt in unserem Heft gegeben. Dies ist in Redaktionsrunden meist der unerschütterliche Grund für die Ablehnung eines Themenvorschlags. Selbst wenn Ribery höchstselbst bei uns klingeln und sich um ein Interview bewerben würde, müssten wir aufgrund dieser Konstellation rigoros ablehnen, so sind die eisernen Regeln.
Aber genau das tat er in meinem Traum. Ribery spazierte in unser Büro mit einem „4You“-Tornister auf dem Rücken und einem Bayern-Trikot über dem Körper. Er zog einen Trolly hinter sich her. Auf unsere ersten Fragen antwortete er auf französisch und obwohl weder Kuhlhoff noch ich dieser Sprache mächtig sind, nickten wir verständnisvoll. Kuhlhoff hakte sogar noch mal nach. Doch das Interview erschwerte sich in der Folge dadurch, dass sämtliche ehemalige 11FREUNDE-Mitarbeiter und unzählige halbseidene Gestalten aus meiner Heimatstadt in einer Art Polonaise den Raum betraten. Es wurde so laut, dass wir unser eigenes Wort nicht mehr verstanden. Noch schwieriger wurde es, als plötzlich Anastacia im Raum war und zu singen begann. Dies veranlasste Ribery dazu, einen Breakdance aufzuführen. Nur der Herrgott weiß, wie man zu Anastacia breakdancen kann. Dann verließ er grußlos unsere Räumlichkeiten.
Ich hatte in jüngster Vergangenheit weder geplant, Ribery zu interviewen, noch besitze ich auch nur irgendeine CD oder ein Lied von Anastacia. Der Traum bleibt für mich unerklärbar. Als ich heute morgen meinem Kollegen Benni Kuhlhoff davon erzählte, fiel ihm direkt ein, wie er einmal im Traum Winnie Schäfer gerettet hatte (Seite 2). Und auch der Kollege Jens Kirschneck erinnerte sich an einen Fiebertraum mit Carsten Jancker in der Hauptrolle (Seite 3).
Während meiner Studentenzeit arbeitete ich im Lager eines Zeitschriftenverlags. Es war ein toller Job. Da ich sehr oft, sehr allein in einem riesigen, kalten Kellerraum verweilen musste, blieb neben den klassischen Tätigkeiten – Paletten umherfahren, Dinge von A nach B räumen, muffige LKW-Fahrer aufheitern – auch Zeit für Entspannung. Ich nutzte die Zeit oft zum Lesen. Doch nach einer etwas zu kurzen Nacht in der heimischen WG, hielt mein eiserner Arbeitswille dem schlichten Trieb meines Körpers nicht mehr Stand. Ich mummelte mich auf eine riesige Palette, deckte mich mit alten Zeitschriften zu und schlummerte den Schlaf des Gezechten. Was dann passierte, stellt mich bis heute vor ein psychologisches Rätsel, es war eine Begegnung der dritten Art:
Ich hörte plötzlich einen schrilles Klingeln, das ich nach kurzer Verwirrung als Alarmsirene des Aufzugs ausmachen konnte. Ich sprang auf, rannte zum Aufzug, öffnete die verkeilte Tür und vor mir stand: Winnie Schäfer. Der Wundertrainer sah schlecht aus. Ausgemergelt von seinen Engangments in diversen Fußball-Schwellenländern, dürr, das einst wallende Haar wirkte splissig. Zudem murmelte der gute, alte Winnie unaufhörlich die Worte: „WM 2002, Goldene Generation und unzähmbare Löwen.“
Vor dem Frühstück: Das Wunder vom Wildpark
Dieser Anblick weckte sofort meinen Beschützerinstinkt. Ich führte den zittrigen Mann zu einem Stuhl, kramte ein angebrochenes Trinkepäckchen (Stute) aus meinem Rucksack und sagte die verheißungsvollen Worte: „Winnie, so kann es nicht weitergehen. Ich mach dich wieder fit.“ In den folgenden Wochen wohnte Winnie Schäfer in meinem Zeitschriftenlager. Wir beide absolvierten ein striktes Resozialisierungsprogramm: Vor dem Frühstück gab es Nachhilfe in Fußballhistorie. Stück für Stück paukte ich mit dem paralysierten Schäfer seine Vita durch: die Meisterschaft 1970, der Uefa-Cup-Sieg von 1979, das Wunder vom Wildpark.
Vor dem Mittagessen stand Fitness auf dem Programm: Wir stemmten Zeitschriftenstapel, schoben Paletten, absolvierten knüppelharte Treppenläufe, die selbst knochenharten Trainerlegenden wir Ernst Happel oder Branko Zebec ein anerkennendes Nicken abgerungen hätten. Vor dem Abendessen stand dann abschließend der ultimative Sozialtest: das Bier am Büdchen. Wird Schäfer den rauen Ton der deutschen Bevölkerung überhaupt noch vertragen? Am ersten Tag fauchte eine Verkäuferin auf seine freundliche Frage („Was kosten diese zwei Bier, bitte?“) gallig zurück: „Könnseauchnomalredenmeister?“ Schäfer ergriff die Flucht.
Der LKW-Fahrer im Aufzug
Nur mühsam konnte ich den verschreckten Coach wieder an das raue Leben in seiner Heimat gewöhnen. Mettbrötchen beim Bäcker besorgen. Eine Portion Reibekuchen für alle. Eine Wochenration Wasser. Es wurde besser. Schritt für Schritt. Eines morgens kam ich gut gelaunt in das Lager. Heute sollte es noch einmal um das Wunder vom Wildpark gehen. Ich hatte Edgar Schmitt als Zeitzeugen zu einem Telefonat mit seinem Ex-Trainer überreden können. Als ich jedoch den Schlafbereich meines Zöglings betrat, war Schäfer weg. Ich fand nur einen Zettel, auf dem stand: „Danke für alles, dein Winnie!“
Plötzlich vernahm ich erneut ein schrilles Klingeln. Ich wachte auf. Schüttelte mich. Ein muffiger LKW-Fahrer steckte im Aufzug fest. Er schrie, seine Halsschlagader war auf die Größe einer Banane angeschwollen. Ich befreite ihn und sagte: „Entschuldigung, ich habe sie nicht gehört.“ Der LKW-Fahrer sah mich an wie ein Auto und raunzte: „Könnseauchnomalredenmeister?“ Ich blickte kurz zu Boden und dachte: „Viel Glück in dieser kalten Welt, kleiner Winnie.“ (Benjamin Kuhlhoff)
Es war vor ein paar Jahren. Arminia Bielefeld hatte kurzfristig eine Pressekonferenz einberufen. Die Sportjournaille der Stadt rätselte eifrig, um welche Neuigkeit es sich handeln könnte, als Arminias Präsident, Sportdirektor und Trainer den Saal betraten, im Schlepptau einen hünenhaften Kerl mit Glatze, den alle Anwesenden sofort erkannten. „Nein, bitte nicht“, dachte ich noch, doch das Unglück nahm seinen Lauf.
„Es ist noch zu frisch“
Der Präsident sprach von einem stolzen Tag, den ein erweitertes Engagement des Hauptsponsors überhaupt erst möglich gemacht hätte. Der Sportdirektor schilderte die in angenehmer Atmosphäre verlaufenen Verhandlungen. Der Trainer frohlockte über eine ideale Verstärkung des Kaders. Der Hüne sagte, er brauche Spielpraxis und suche außerdem eine neue Herausforderung. „Und so“, schloss der Präsident, „freue ich mich, Ihnen mitteilen zu können, dass Carsten Jancker die nächsten zwei Jahre in Bielefeld spielen wird.“ Ich wachte schreiend auf. Taumelte kalkweiß aus dem Zimmer und lief dem Mitbewohner über den Weg.
„Was ist los?“, erkundigte er sich besorgt. „Schlecht geträumt“, murmelte ich. „Möchtest du drüber reden?“, fragte er. Ich schüttelte den Kopf: „Vielleicht später mal. Es ist noch zu frisch.“ (Jens Kirschneck)