Borussia Dortmund hätte gegen Manchester City einen Sieg verdient gehabt. Dass es nicht dazu kam, verdanken die Citizens einer fragwürdigen Schiedsrichterentscheidung und Joe Hart, dem angeblich besten englischen Torhüter der letzten 20 Jahre.
Auf was kann man sich noch verlassen? Marianne&Michael wurden nach 57-jähriger TV-Präsenz abgesetzt, die Scorpions haben sich nach einer schier endlosen „Wind of Change“-Dauerschleife aufgelöst und Bud Spencer macht geraumer Zeit nur noch seriöse Filme ohne seinen kongenialen Partner Terence Hill. Und nun das noch: England hat mittlerweile einen Torhüter, der das macht, was Torhüter für gewöhnlich machen: Er hütet sein Tor.
Der Mann heißt Joe Hart. 25 Jahre, 1,93 Meter groß, geboren in den englischen West-Midlands, Shrewsbury. Der Mann ist der Grund dafür, dass sich Dortmunds 1:1 bei Manchester City wie eine Niederlage anfühlt.
Den Hype um Manchester Citys Joe Hart gibt es nicht erst seit gestern. Der Keeper wurde in den vergangenen zwei Jahren von Lobeshymnen regelrecht überhäuft. Sir Alex Ferguson hat ihn einmal „den besten englischen Torwart der letzten 20 Jahre“ genannt. Der Trainer von Manchester United gab außerdem zu, dass er es heute bereut, Hart nicht verpflichtet zu haben, als dieser noch eine unbekannte Nummer beim englischen Drittligisten Shrewsbury Town war. Harts Berater soll im Sommer 2006 mehrmals bei United vorgesprochen haben. Die gewünschte Ablöse lag bei 100.000 Pfund. Ferguson lehnte ab und Hart ging zu Manchester City.
Wie es in England häufig üblich ist, wurde der junge Spieler erst einmal auf Reisen geschickt, er machte auf Leihbasis ein paar Spiele für Tranmere Rovers, ein paar für den FC Blackpool. Immerhin eine komplette Saison stand Hart für Birmingham City im Tor. Seit 2010 ist er Stammkeeper bei Manchester City. Und seitdem ist die englische Presse voll des Lobes. Und das ist durchaus erstaunlich, wenn man bedenkt, mit welcher Skepsis und Selbstironie sie normalerweise Torhütern aus dem eigenen Land begegnet.
Ein Patzer? Ah, ja, Januar 2011
Vor der EM nannte die „Daily Mail“ Hart „den englischen Fels“ und der „Independent“ schrieb von „einem gerechtfertigten Hype“. Tatsächlich bestätigten die Zahlen den Rummel um Hart. In den zwei Spielzeiten vor der EM spielte der Torhüter 50 Mal zu Null, und die Suche nach wirklich groben Patzern führt weit in die Vergangenheit. Im Januar 2011 verschuldete Hart ein Tor im englischen Pokal gegen Zweitligist Leicester City.
Dennoch: Vor der EM misstrauten viele Fans der allgemeinen Begeisterung. Das Meinungsforschungsinstitut „Sharp FanLabs“ führte kurz vor Turnierbeginn eine Umfrage unter englischen Anhängern durch. Auf die Frage, ob England durch einen Torwartpatzer ausscheiden würde, antworteten 46 Prozent der Teilnehmer mit „Ja“. Joe Hart ließ das kalt. Er hielt grandios und ließ in vier Spielen nur drei Tore aus dem Spiel zu, ihm gelangen 17 Paraden, mehr als jedem anderen EM-Torhüter.
Dann kam das Elfmeterschießen gegen Italien und zwischenzeitlich dachte man tatsächlich, Hart könnte den Fluch der A‑Nationalelf in Sachen Elfmeterschießen besiegen, schließlich gilt der Torwart als Elfmeterkiller. 2009 hatte er mit der U21 das erste Elfmeterschießen einer englischen Nationalmannschaft seit 1996 gewonnen. Vor dem Spiel gegen Italien gab sich Hart dementsprechend selbstbewusst und wenn man ihn auf das Elfmeterschießen ansprach, gab er zu, eine ausführliche Internet-Recherche betrieben zu haben. „Ich weiß alles über die Schützen“, sagte er. „Sogar wie ihre Frauen und Freundinnen heißen.“ Er wusste nicht, dass Andrea Pirlo großer Fan von Antonin Panenka ist.
Und trotzdem riss der Hype nicht ab. Der ehemalige Nationaltorwart Gordon Banks verglich Hart mit ihm, dem großen Banks, der 1966 mit England Weltmeister wurde. „Er hat alle notwendigen Attribute. Er kann schnell antizipieren, hat eine ungeheure Sprungkraft und ist stark auf der Linie und ihm Herauslaufen. Und er kann sich sehr groß machen!“ Das, so sagt er, habe er von Kasper Schmeichel gelernt. Dem Sohn des großen Peter Schmeichel, mit der einst bei City um den Platz im Tor konkurrierte.
Am Mittwochabend erfuhren die Dortmunder, wie es aussieht, wenn sich Hart groß macht. Je besser der BVB spielte, desto stärker wurde auch Hart. Immer wieder brachte der Keeper die Hände zwischen Ball und Tor. In der zwölften Minute lenkte der Torwart einen Schuss von Mario Götze an den Pfosten. Danach scheiterten Ilkay Gündogan, Marco Reus, Chancen für drei, ach, vier, fünf Spiele. Mehrmals blieb den mitgereisten Fans der Jubel im Halse stecken. In einer Szene schoss Götze den Ball so hart aufs Tor, dass ihn selbst die Superzeitlupe nicht einfangen konnte. Doch Hart riss wieder die Arme hoch, die Fingerspitzen am Ball, Latte. Reflex? Können? Glück?
Die Angst des Stürmers vor dem Torschuss
Danach wieder Gündogan aus kurzer Distanz, später noch einmal Gündogan mit einem Schlenzer vom Sechzehner und Götze mit einem Schuss von halbrechts. Immerhin einmal konnte Marco Reus den Mann überwinden. Hart hatte wieder die Hände am Ball. Und als der Torhüter zum zweiten Mal geschlagen schien, in der 76. Minute, versagten bei Robert Lewandowski die Nerven. Der Stürmer schoss den Ball links am Tor vorbei. Mit dem rechten Außenrist. Es wirkte ein bisschen wie die Angst des Stürmers vor dem Torschuss. Die Angst davor, wieder an Hart zu scheitern.
Oft spricht man davon, dass Weltklassetorhüter Torschüsse nicht nur halten müssen, Flanken nicht nur abfangen und Elfmeter nicht nur halten müssen. Es geht um mehr. Darum, dass Weltklassetorhüter Spiele gewinnen. Um das Unmögliche also, schließlich schießen Torhüter keine Tore. Joe Hart hat das gestern getan: Er hat das Spiel für Manchester City gewonnen – auch wenn es Unentschieden endete.