Mit West Ham United geht es seit dem Umzug ins London Stadium bergab. Am Wochenende tobte ein wütender Mob unter der Vorstandsloge. Warum ein Ausweg nicht in Sicht ist.
Die Szene ähnelte einer Kneipenschlägerei: Zwei Männer gehen aufeinander zu, der eine packt den anderen am Kragen, drückt ihn zu Boden und zerrt an ihm, bis ein Kumpel ihn zur Seite schiebt. Allerdings hat sich diese Rauferei nicht am Tresen irgendeines Pubs zugetragen, sondern mitten auf dem Spielfeld des London Stadiums, in dem seit 2016 West Ham United seine Heimspiele austrägt.
Einer der beiden Männer war ein West-Ham-Fan, der in der zweiten Halbzeit des Premier-League-Spiels gegen den Burnley FC am vergangenen Samstag auf den Rasen gerannt war. Dort konnte er sich zunächst ungestört bewegen, bis er an West Hams Kapitän Mark Noble geriet, der ihn wütend zu Fall brachte. Erst danach erreichten auch die sichtlich überforderten Ordner das Geschehen und jagten den Eindringling vom Platz.
Nach dem Spiel sagte Noble, ein West-Ham-Eigengewächs und mittlerweile 30 Jahre alt: „Ich bin selber West-Ham-Fan und ich habe diesen Klub immer verteidigt. Aber wenn mir jemand zu nahe kommt, dann wehre ich mich.“ Wie konnte es nur so weit kommen?
Das Ende des Upton Park
West Ham rutscht sportlich immer weiter ab. Gegen Burnley hat der Klub aus dem Osten Londons mit 0:3 verloren, es war die dritte Niederlage in Folge. In der Tabelle trennen die „Hammers“ dadurch nur noch drei Punkte von Crystal Palace auf dem ersten Abstiegsplatz. Das ist das eine.
Auf der anderen Seite ist da aber auch ein noch tiefer sitzender Frust bei den Fans. Frust darüber, dass der Vorstand vor einigen Jahren entschieden hat, dass West Ham sein altes Stadion — den Upton Park — verlassen müsste, um sich sportlich und vor allem wirtschaftlich weiterentwickeln zu können.
In der zweiten Saison seit dem Umzug in das fünf Kilometer weiter westlich gelegene London Stadium, das für die Olympischen Spiele 2012 gebaut und anschließend zur Weiternutzung ausgeschrieben worden war, ist von Fortschritt nichts zu sehen. Die Mannschaft kämpft gegen den Abstieg — und die Fans fremdeln mit der modernen Arena, die trotz all der bunten Klubverzierungen den Charme einer Messehalle versprüht.
Den Klub zerstört
Schon häufiger hat es Unruhen gegeben auf den Rängen des neuen Stadions. In der vergangenen Saison war es wiederholt zu Schlägereien zwischen West-Ham-Fans gekommen, die sich über die Art, wie sie den Fußball erleben wollen, nicht einig werden konnten. Im Upton Park war jedem klar gewesen, wo die Fans an ihren Sitzschalen standen und wo man die Spiele im Sitzen verfolgen konnte. Auch das Sicherheitspersonal trug den Deal mit. Aber beim Umzug ist diese Übereinkunft verloren gegangen.
So heftig wie am vergangenen Samstag war es allerdings noch nie. Nach der Szene mit Mark Noble rannten noch drei weitere Fans über den Platz, wobei ein Teil der Zuschauer sie anfeuerte, während andere sie wüst beschimpften. Einer rupfte die Eckfahne heraus und spazierte damit bis in den Mittelkreis, während er sie schwenkte wie auf einem sinkenden Schiff. Das Spiel musste immer wieder unterbrochen werden, stand zwischenzeitlich kurz vor dem Abbruch.
Gegen Ende versammelte sich dann ein Mob von etwa 200 wütenden Fans unter der Loge, von der aus unter anderem das Eigentümer-Duo David Sullivan und David Gold sowie die stellvertretende Vorsitzende Karren Brady das Spiel verfolgten. Minutenlang riefen die Fans „Vorstand raus“ und „ihr habt unseren fucking Klub zerstört“; einige warfen Gegenstände in die Loge, andere sollen sich mit dem Finger über die Kehle gefahren sein — eine Drohung der ganz üblen Sorte. Gold, Sullivan und Brady wurden Minuten vor dem Abpfiff vorsichtshalber in Sicherheit gebracht.