Jens Kirschneck sah das Handball-Finale – und war begeistert. Weil er etwas sah, was er im Fußball schon lange vermisst.
Es ist schon lange nicht mehr vorgekommen, dass ein Spiel die ganze 11 FREUNDE-Redaktion derart begeistert hat, dass noch am Tag danach alle mit leuchtenden Augen bei der Morgenrunde saßen und sich mit Superlativen überboten: „Verrückt!“ – „Hammer!“ – „Der Wahnsinn!“ Was man halt so von sich gibt als wortgewaltiger Journalist. Allerdings war es nicht der späte Sieg des VfB Stuttgart, der diese Fußballredaktion euphorisierte, nicht die Aufholjagd des SV Werder und auch nicht der verhinderte Videobeweis im Dortmunder Westfalenstadion – es war tatsächlich ein Handballspiel.
13 Millionen Zuschauer ließen sich von dieser Mannschaft mitreißen
Und wenn man die Einschaltquote des gestrigen EM-Finales zwischen Deutschland und Spanien nimmt (13 Millionen Zuschauer), waren wir offenbar nicht die Einzigen, die sich von diesem jungen Nationalteam mitreißen ließen. Natürlich war Handball schon immer einer der populäreren „Buntsportarten“ – in der manchmal ziemlich ignoranten Logik des Sportjournalismus ist das so ziemlich jeder Sport, der nicht Fußball ist –, aber eine solch kollektive Begeisterung für ein sportliches Ereignis außerhalb des allmächtigen Genreprimus ist dann doch selten.
Dabei wird sicher die spezielle dramaturgische Konstellation eine Rolle gespielt haben: die Geschichte einer Mannschaft, die sich ohnehin im Umbruch befindet und dann durch zahlreiche Verletzungen einen Nackenschlag nach dem anderen erleidet, aber dennoch nie die Flinte ins Korn wirft. Sportfans lieben solche „Against-all-odds“-Situationen, und die Mannen des isländischen Trainersouveräns Dagur Sigurdsson haben diese Karte perfekt ausgespielt. Mancher in der Redaktion fühlte sich an die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei der EM 1996 erinnert (wir können halt doch nicht aus unserer Haut), und am Ende stand ein Ergebnis, das selbst in Zeiten, in denen das Wort inflationär gebraucht wird, als Sensation gelten darf.