Am Dienstagabend besuchte die halbe 11FREUNDE-Redaktion das Spiel Berliner AK gegen 1860 München. Die Eventgruppe sah zwar kein Pokalwunder, dafür erlebte sie den Aufstieg und Fall einer Fanszene innerhalb von 90 Minuten. Eine Revue.
Fanszenen entstehen für gewöhnlich über Jahrzehnte. Sie fechten Territorialkämpfe aus, sie durchlaufen Krisen, sie hierarchisieren die Blöcke, sie spalten sich ab, sie gründen sich neu, sie verändern sich, sie atmen. Beim Berliner AK ist das ganz anders, denn der Klub hat nur wenige richtige Fans. Manchmal kommen 150 Zuschauer, bei Topspielen sind es mal 300 Interessierte, dazu ein paar Hunde, Spielerfrauen, Kinder, Personal. Der Auswärtsanhang ist oft größer als das Heimpublikum. Vergangenes Wochenende verirrten sich im Berliner Poststadion ganze 84 Zuschauer. Der Gegner hieß Germania Halberstadt, das Spiel endete 1:1. Ein durchschnittlicher Viertligakick zweier durchschnittlicher Viertligamannschaften. Der BAK ist momentan Siebter der Regionalliga Nordost.
Doch die drittbeste Mannschaft Berlins hat es jüngst mit einem sensationellen 4:0‑Sieg gegen den Bundesligisten TSG Hoffenheim in die zweite Runde des DFB-Pokal geschafft. Am Dienstagabend spielten die Pokalhelden gegen den TSV 1860 München. Eine Partie, die wie eine verspätete Ankunft im modernen Fußball wirkte. 15 Euro kostete die günstigste Eintrittskarte, eine Wurst 3 Euro. Immerhin: Der Tee war billig und gut und das Spiel recht ansehnlich. Der BAK war zeitweise sogar die bessere Mannschaft, 1860 aber das, was man im Fußballjargon „ausgebufft“ nennt.
Dieses Mal waren immerhin 2500 Zuschauer gekommen. Und sie durchliefen im Kleinen all das, was Fanszenen seit den siebziger Jahren erleben: englischen Support, italienischen Support, Ultrasupport, Kuttensupport, Kommerz, Eventkritik, Grabenkämpfe, Auflösungserscheinungen. Sie erlebten den Aufstieg und Fall einer Fanszene innerhalb von 90 Minuten.
Drei Megafonmänner und ein Sirenenmann
Es fing damit an, dass ein Maskottchen die Tartanbahn betrat. Ein Kollege aus der achtköpfigen 11FREUNDE-Reisegruppe sagte: „Ein Fuchs!“ Ein anderer verbesserte: „Ein Bär!“ Ein BAK-Fan fragte: „Was soll das denn überhaupt?“ Wie auch immer: Dieses Tier, nennen wir es Bärfuchs, trug eine seltsame karnevaleske Kopfbedeckung und wurde, so berichteten regelmäßige BAK-Gänger, noch nie zuvor bei einem Heimspiel gesehen. Der Stadionsprecher kündigte das Tier als „Icke“ an. Die Kinder freuten sich.
Es ging damit weiter, dass sich aus dem Nichts, pünktlich zum Anpfiff, verschiedene Gruppen formierten, die mächtig Stimmung machten. Da gab es den Megafonmann, den Trommler, den Schreier, den Vuvuzela-Tröter und den Sirenenmann. Dieser trug ein Gerät bei sich, das er bei besonders aufregenden Szenen anwarf. Das Eventpublikum freute sich. Allen voran die 11FREUNDE-Reisegruppe. Zumal die Fanszene auf richtig dicke Hose machte. Es gab nämlich gleich drei Megafonmänner. Sie hatten sich in verschiedenen Blöcken postiert. Die Megafonmänner 1 und 2 standen am Fuße der überdachten Tribüne, Megafonmann 3 und der Vuvuzela-Tröter auf den Sitzschalen der billigen Kurvenplätze. Manchmal kam Megafonmann 1 an den Zaun den Nachbarblocks und schrie: „Rot!“ Die Menge sollte mit „Weiß!“ antworten, denn das sind die Farben des BAK, doch das Echo war bescheiden. Die Menge bestand aus Fans von Eintracht Frankfurt, Borussia Dortmund, Schalke 04 oder vom Hamburger SV. Die 11FREUNDE-Reisegruppe hatte sogar eine Anhängerin vom FC Zürich dabei. Fußballfans im Berliner Exil, die sich in der Hoffnung auf die nächste Pokalsensation im Jahn-Sportpark eingefunden hatten.
„Run BAK! Run, run, run BAK!“
Also tapste Megafonmann 1 wieder zurück zu Megafonmann 2. Wieder Sirene, wieder „Rot!“, wieder „Weiß!“. Bald animierten die Megafonmänner auch zu anderen Chants. Sehr beliebt: „Run BAK! Run, run BAK!“ Diesen Schlachtruf hat man sogar auf T‑Shirts drucken lassen. Der Schriftzug ist dem der HipHop-Gruppe Run DMC nachempfunden.
Sowieso ist HipHop das große Ding beim BAK. In der Halbzeit trat eine Rap-Crew mit dem Namen „Gier & P‑Zak“ auf, die die Vereinshymne schmetterte. Sogar die „Bravo Sport“ hat schon über das Lied berichtet. Darin heißt es etwa: „Wer gewinnt? Wir!“ Oder: „BAK 07, zehn Spieler, ein Keeper!“ Unter dem Bravo-Beitrag steht: „Das Lied boggt mega!“
Die Fans in der Kurve wurden sehr unruhig, als Moritz Stoppelkamp das 1:0 für 1860 markierte und sich in selbstgefälliger Pose vor der noch so jungen BAK-Kurve aufstellte. „Bastard!“, schrie einer aus der Eventfraktion. „Hau ab!“, sein Kollege. Die BAK-Fangruppe war moderater. Sie stimmte den Schlachtruf „Hier regiert der BAK!“ an. Was allerdings nicht ganz stimmt, schließlich spielt der BAK normalerweise nicht im Jahn-Sportpark. Die Pokalpartie wurde nur deswegen hier ausgetragen, weil das Flutlicht im Poststadion nicht Sky-ARD-ZDF-kompatibel ist.
In der zweiten Halbzeit zündeten die Ultras von 1860 München bengalische Feuer, denn ihr Team war nach einer Stunde 2:0 in Führung gegangen. Der Stadionsprecher meldete sich. Die Gästefans sollten das bitte unterlassen. Außerdem ermahnte er die BAK-Fans: „Leute, bitte macht die Gänge frei!“ Und dann: „Sonst kommt die Polizei!“ Das war Ironie. Ein Mann nuschelte: „Fußballfans sind keine Verbrecher!“ Das war auch Ironie. Vielleicht. Denn Polizei gab es tatsächlich. Sie stand hinter der Kurve. Dort, wo ein älterer Herr den Geheimnissen seiner Bierzapfanlage auf der Spur war.
„Jetzt gibt’s ma richtig Stimmung hier, wa!“
Zwischen der 60. und 70. Minute gelangen ein paar Wechselgesänge zwischen Megafonmann 1&2 (inkl. Anhang) und Megafonmann 3 (exkl. Anhang). In der 70. Minute schritten dann Megafonmann 1 und 2 in den Nachbarblock. Die Eventfans und die Eventredaktion blickten auf den Gang, da tönte Megafonmann 1: „Jetzt gibt’s ma richtig Stimmung hier, wa!“
Sodann erklomm einer der Anpeitscher den Zaun. Ein Fotograf eilte herbei, um das Schauspiel festzuhalten. Dann wieder „Rot!“ und „Weiß!“, und weil das alles nicht so richtig gut funktionierte, gingen die Megafonmänner einfach mal in die Offensive. Sie stimmten die „La Ola“ an. Die erste Welle verebbte nach zwanzig Metern, denn die Zuschauer auf den überdachten 20-Euro-Sitzen machten nicht mit. Skeptische Rufe in Richtung VIPs und Presse.
In dieser Phase fand man Gefallen an Kritik. Denn als nächstes riefen die Fans: „Wer nicht springt ist ein Münchener!“ Dann sprangen sie. Doch die meisten Zuschauer machten nicht mit. Lauteres Anpeitschen in Richtung eigener Anhang, der ja eigentlich kein Anhang war, sondern einfach nur mal vorbeischauen wollte, weil Pokal, weil vielleicht Sensation, weil Dienstagabend-Langeweile.
„Wer das Stadion verlässt, ist ein Verräter!“
Als Blanco in der 88. Minute das 3:0 für die Münchener markierte, verließen die ersten Zuschauer das Stadion. Wieder Rufe aus der Megafon-Tröter-Sirenen-Fraktion: „Wer das Stadion verlässt, ist ein Verräter!“ Die Zuschauer zogen die Mützen ins Gesicht und gingen schneller.
Doch einige blieben und bestaunten die ersten Grabenkämpfe in der BAK-Fanszene. In 90 Minuten hatte sich in einer urigen Betonschüssel mit Siebziger-Jahre-Flair aus einer anfangs wilden Tröten-Megafon-Trommel-Gruppe eine lebendige Ultraszene mit drei Capos herausgebildet, dazu gab es das Eventpublikum, den Entertainmentrahmen, ein bisschen Polizei, ein bisschen Pyro im Gästeblock, ein bisschen mahnende Worte vom Stadionsprecher und teure Tickets. Die Meckeropas standen am Bierstand. Eine aufregende Achterbahnfahrt durch die vergangenen Jahrzehnte moderner Fußball, nur ein bisschen anders. Selbst am Einlass ist alles noch herrlich jung. Ein Ordner fragte da vor dem Spiel einen jungen Mann mit einem großen Rucksack: „Hab‘ ich da schon reingeguckt?“ Der junge Mann nickte und ging durch das Eisentor. Vor ihm die Flutlichtmasten. Die Aufgänge. Gesänge. Gemecker. Und dann diese große Chance zur Führung in der 28. Minute. Wir werden wiederkommen.