Es ist gar nicht so lange her, da war Deportivo La Coruna neben dem FC Barcelona und Real Madrid der beste Klub Spaniens. Heute ist der Verein so gut wie pleite. Wir erinnern an den kometenhaften Aufstieg, Tore von Bebeto, Roy Makaay und die magischen Füße von Djalminha.
Die Erfolgsgeschichte von Deportivo La Coruña begann mit einer Lüge. Damit die Schummelei nicht schon vorher aufflog, machte sich Augusto Cesar Lendoiro selbst auf die Reise. Den Präsidenten des galizischen Provinzklubs zog es 1992 nach Rio de Janeiro, die Zeit drängte. Bei Vasco da Gama spielte ein Stürmer Namens José Roberto Gama de Oliveira, der sich als Fußballer Bebeto nannte. Der Torjäger war sich bereits mit Borussia Dortmund einig, aber Lendoiro, ein rundlicher Herr mit aufbrausendem Gemüt, konnte das nicht akzeptieren. Er besuchte Bebeto und dessen Frau Denise in ihrem Zuhause und erzählte seine Version der Lebensumstände in Dortmund. Schrecklich kalt werde es in dieser tristen, grauen Stadt, der Winter würde dort arktische Ausmaße annehmen. Ganz anders in La Coruña. Dort sei das Klima dem in Brasilien sehr ähnlich, Sonne satt, die auf malerische Strände scheint. Denise, die der Legende nach bei den Ausführungen über Dortmund kreidebleich geworden sein soll, wollte nun auf keinen Fall mehr nach Deutschland. Die Sache war klar: Wenn die Familie Rio aufgibt, dann nur für dieses Paradies im fernen Spanien. Dass La Coruña in Galizien mit seinen steinigen Felsküsten zu den regenreichsten und kältesten Regionen Spaniens gehört, sollte Denise erst später erfahren.
Heute schuldet Depor dem Finanzamt etwa 90 Millionen Euro
Die Verpflichtung von Bebeto und dessen Landsmann Mauro Silva bedeutete für Deportivo La Coruña den Aufbruch in eine neue Zeit, „Super Depor“ nannten die Fans ihr Team, auf einmal schien alles möglich, selbst der Gewinn der Meisterschaft. Deportivo La Coruña sollte für viele Jahre das Geschehen in Spaniens Primera Division mitbestimmen, die Hegemonie vom FC Barcelona und Real Madrid zerbrechen und auch in Europa für denkwürdige Momente sorgen.
Von diesem Ruhm ist nicht mehr viel geblieben. Nach dem Abstieg 2010 spielt La Coruña inzwischen zwar wieder erstklassig, aber der Klub dümpelt als Drittletzter in den Niederungen der Tabelle herum. Was allerdings noch schlimmer ist: Deportivo steht vor dem finanziellen Ruin. Der Verein schuldet dem Finanzamt zirka 90 Millionen Euro, ein Insolvenzverfahren wurde bereits eingeleitet. Die Spieler warten seit Monaten auf ihre Gehälter und werden das wohl auch in Zukunft tun. Mittlerweile werden alle Einnahmen gepfändet, weil die Tilgungsraten nicht mehr gezahlt werden konnten. Vor einigen Wochen hatte Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy von der konservativen Partido Popular (PP) angekündigt, dass Spaniens Fußballklubs in naher Zukunft ihre Steuerschulden begleichen müssen. Sollte die Regierung tatsächlich Ernst machen, dürfte Deportivo nicht der letzte Verein sein, dessen Existenz bedroht ist.
Bis 1992 war der Klub eine Fahrstuhlmannschaft, eine Art VfL Bochum Spaniens. Für Lendoiro ein unerträglicher Zustand. Als konservativer Lokalpolitiker war er Erfolg gewöhnt, Deportivo sollte nach seinem Antritt als Präsident 1988 mit aller Macht das sportliche Aushängeschild Galiziens werden. Und mit den beiden Brasilianern ging Lendoiros Plan auf. Bebeto wurde auf Anhieb mit 29 Treffern Torschützenkönig, Mauro Silva führte im Mittelfeld glänzend Regie, die Mannschaft landete 1993 auf Platz drei. Ein Jahr später spielte Depor sogar um den Titel – zum ersten Mal seit 1950. Von Runde 14 an stand man ununterbrochen auf Platz 1, bis es am letzten Spieltag zum dramatischsten Finale in der Geschichte der Primera Division kam. La Coruña hätte gegen den FC Valencia ein Sieg zur Meisterschaft gereicht, der FC Barcelona musste dagegen gegen den FC Sevilla gewinnen und auf einen Ausrutscher des Konkurrenten hoffen. Für Valencia und ihren Trainer Guus Hiddink ging es um nichts mehr, aber die Spieler warfen sich in jeden Zweikampf, als hätten auch sie noch Chancen auf den Titel. Viele Jahre später erklärte Valencias damaliger Verteidiger und späterer Vizepräsident Fernando Giger in einer Fernsehsendung den Grund: „Wir erhielten eine großzügige Prämie vom FC Barcelona.“ 50 Millionen Peseten zahlte Barça, die Übergabe erfolgte eine Woche nach dem Saisonende auf der Autobahn zwischen Barcelona und Valencia.
Dass Valencias Spieler ihre Prämie tatsächlich erhielten, lag an Miroslav Djukic. Zwei Minuten vor Spielende bekam Depor einen Elfmeter zugesprochen. Das Estadio Riazor tobte, noch ein lumpiger Schuss bis zum ersehnten Titel. Nur fand sich kein Schütze. Die Spieler wussten längst, dass derjenige, der antreten würde, auch treffen musste. Barcelona lag gegen Sevilla bereits mit 5:2 vorn. Donato, normalerweise für die Elfmeter zuständig, war bereits ausgewechselt worden, sein Vertreter Bebeto kniff. Also musste Djukic ran, der technisch versierte Libero. Aber ihm versagten die Nerven, Valencias Ersatzkeeper Gonzalez hatte mit dem Schüsschen keine Mühe. Kurz darauf pfiff der Schiedsrichter ab, ganz La Coruña versank in Trauer. Im Stadion kletterten die Menschen über die Zäune, nur um sich auf den Rasen zu setzen und zu weinen. Andere ließen ihren Frust am Elfmeterpunkt aus. Niemand hatte ernsthaft damit gerechnet, dass noch etwas schief gehen könnte. Valencias Spieler berichteten bei ihrer Rückkehr, dass ganz La Coruña schon vor dem Spiel in den Vereinsfarben blau und weiß geschmückt war. Auf dem Weg zum Stadion hätten sie sogar einen Esel gesehen, eingekleidet in Blau und Weinrot – den Farben Barcelonas.
In La Coruña war die Enttäuschung grenzenlos, erst lange Zeit später realisierten die Fans, dass ihr Klub doch etwas geschafft hatte. Depor war nun Teil der spanischen Fußballhistorie, das dramatische Finale von 1994, vergleichbar mit Schalkes Meisterschaft der Herzen 2001, wird auch zukünftigen Generationen ein Begriff sein. Außerdem hatte die Provinzstadt La Coruña mit ihren gut 250 000 Einwohnern den ewigen Zweikampf zwischen den Millionenstädten Madrid und Barcelona beendet. Ein Zustand, der für viele Jahre anhalten sollte. Mit geschickter Transferpolitik blieb Deportivo bis vor wenigen Jahren an der Spitze der Primera Division, Präsident Lendoiro galt zwischenzeitlich als der gewiefteste Geschäftsmann im spanischen Fußball. Er erwirtschaftete viel Geld, sein Verhandlungsgeschick ist legendär. Die Geschäftstreffen liefen immer nach dem gleichen Muster ab: Lendoiro lud stets zu einem opulenten Abendessen, es wurde gut gespeist und noch besser getrunken. So lange, bis der Präsident hatte, was er wollte. Einmal soll ein Essen bis zur Mittagszeit des darauf folgenden Tages gedauert haben.
Die Tore schoss Roy Makaay, vorbereitet vom Zauberfuß Djalminha
Geld blieb immer ein Thema, wenn in Spanien über Deportivo gesprochen wurde. Lendoiro wandelte den Klub in eine Aktiengesellschaft um, die Liste der Aktionäre hielt er aber streng geheim. Wer in welchem Maße beteiligt war, konnte nur vermutet werden. Die Hafenstadt La Coruña ist ein Anlaufpunkt für Waren aus Südamerika – legale wie illegale. Böse Zungen sahen den Grund für Depors Reichtum im halbseidenen Milieu – ohne das je etwas bewiesen werden konnte.
Sechs Jahre nach dem traumatischen Saisonfinale war es dann soweit, Deportivo wurde spanischer Meister. Zum ersten Mal und ganz souverän. Bebeto war längst abgewandert in wärmere Gefilde, an seiner Stelle sorgte Roy Makaay nun für die nötigen Tore. Im Mittelfeld zauberte Djalminha, ein Brasilianer mit magischen Füßen. Mauro Silva war immer noch da und immer noch wichtig. Mit dem Titel begann in La Coruña die Epoche der kontinuierlichen Teilnahmen an der Champions League. Das Riazor erlebte magische Nächte, 2004 verpasste man denkbar knapp das Finale der Champions League. Auf dem Weg ins Halbfinale wurde auch der AC Mailand besiegt. Nach einem 1:4 im Hinspiel gewann Deportivo im Riazor 4:0. Egal ob Arsenal, Manchester United, Juventus Turin, der FC Bayern oder eben Milan – sie alle mussten sich früher oder später an der Atlantikküste geschlagen geben.
Dort, wo viele Jahre zuvor Augusto Cesar Lendoiro mit einer Lüge im Gepäck aufgebrochen war, um den Aufstieg in die europäische Spitze einzuläuten.