Da steht er. Die Haare zu einem Bob fri­siert, ein ver­schmitztes Lächeln auf einem jun­gen­haften, zarten Gesicht, ein Leder­koffer in der rechten Hand, unter seinem linken Arm klemmt ein Papp­karton mit der Auf­schrift Persil“. Er sieht aus wie der fünfte Beatle, wie ein Pop­star auf Durch­reise, doch hier, am Wup­per­taler Trai­nings­ge­lände, sind keine Limou­sinen, keine roten Tep­piche, nicht mal ein Pförtner, der ihn fragt, wer er ist, wohin er will. Da ist nie­mand. Nie­mand, der ihn abholt. Nie­mand ist da, um ihm zu sagen: Zieh deine Fuß­ball­schuhe an, Junge, es geht los! Heinz Bonn ist alleine.



Die Auf­fahrt zum Trai­nings­platz scheint endlos, er pas­siert das Geländer, wieder ein schüch­terner Blick. Eigent­lich ist er einer, der gerne lacht, der mit den Leuten spricht, leut­selig nannte ihn ein Trainer. Doch heute, an diesem späten Nach­mittag im Sommer 1969, merkt Heinz Bonn, dass er eigent­lich nicht dazu­ge­hört. Er ist fremd und: er ist unan­ge­meldet gekommen. Viel­leicht schi­cken sie ihn gleich wieder weg, oder, was noch viel schlimmer wäre, viel­leicht inter­es­siert sich kein Mensch für ihn.

Ball­hoch­halten für einen Ver­trag

Auf dem Platz sieht er Günter Pröpper, Meister Pröpper“, wie die Fans den Tor­jäger vom SV Wup­pertal nennen, daneben Emil Meisen, den erfah­renen Libero des Teams. Wup­pertal hat in der abge­lau­fenen Saison den fünften Platz der Regio­nal­liga West belegt. Bonns alte Mann­schaft, die Sport­freunde Siegen, war just aus der Ober­liga in die Ver­bands­liga abge­stiegen. Spä­tes­tens da wurde ihm klar, dass er fort musste. Auf­bre­chen. Denn seit Heinz Bonn in den Jugend­mann­schaften in Siegen-Nie­der­schelden gespielt hatte, gab es für ihn nur ein Ziel: die Bun­des­liga. Er wollte einer werden wie Franz Becken­bauer, einer, der ele­gant aus der Abwehr das Spiel orga­ni­siert, und der vor­an­schreitet, wenn es drauf ankommt.

Wie alt bist du, Bur­sche?“ Bonn schreckt zusammen, dann dreht er sich zur Seite. 22“, ant­wortet er, und der Mann lächelt und nickt. Horst Buhtz mus­tert ihn, den Bur­schen, neu­gierig, fast weise. War das sein Zei­chen? Bonn hofft es, blickt nochmal zu Buhtz, dem Wup­per­taler Trainer, und zieht seine Fuß­ball­sa­chen an, seine Stol­len­schuhe, Hose, Trikot, dann rennt er auf den Platz wie ein kleines Kind beim ersten Trai­ning. Und plötz­lich ist er mit­ten­drin, und die Sonne scheint durch die Straßen von Wup­pertal, die Saison hat noch nicht begonnen, es ist noch nicht zu spät, neue Spieler in den Kader zu inte­grieren, das weiß auch Horst Buhtz. Als die Mann­schaft den Platz ver­lässt, tippt Buhtz dem Jungen auf die Schulter: Pass auf, Heinz. Wenn du den Ball von hier bis zum Platz hoch­halten kannst, ohne dass er hin­un­ter­fällt, dann bekommst du einen Ver­trag bei uns.“ Heinz Bonn steht am Ver­eins­heim, bis zum Platz sind es etwa 40 Meter, doch ohne lange nach­zu­denken, schnappt er sich den Ball und legt los. Der Ball bleibt oben, einmal, zweimal, dreimal, es ist Bonns leich­teste Übung, wenn­gleich er nun ein biss­chen nervös ist. Doch er kommt am Platz an, dreht um, und läuft ein paar Meter wieder zurück. Buhtz nickt wieder. Ich hätte dem auch so einen Ver­trag gegeben, selten sah ich so einen tech­nisch ver­sierten Abwehr­spieler“, sagt er heute. Der Junge war ein Ball­genie.“

Wenige Wochen später zieht Heinz Bonn nach Wup­pertal in eine kleine Jung­ge­sel­len­woh­nung. Dass Bonn homo­se­xuell ist, weiß nie­mand, und weil es auch nie­mand erfahren soll, schottet Bonn sein Pri­vat­leben her­me­tisch ab. Die Mit­spieler stört das nicht, im Gegen­teil, sie mögen seine gesel­lige Art auf dem Platz, das unver­bind­liche Mit­ein­ander nach den Spielen. Bonn ist beliebt, denn er ist keiner, der auf die Pauke haut, er wird trotz seines Kön­nens und Talents nie vor­laut, er bleibt stets der Junge aus dem Sie­gener Stadt­teil Nie­der­schelden, der Junge mit der Bob-Frisur und dem laus­bü­bi­schen Grinsen, ein ange­nehmer Zeit­ge­nosse eben. Wen inter­es­siert der Mensch hinter dem Fuß­baller?

Heinz Bonn spielt eine phä­no­me­nale Saison, die Presse über­schlägt sich, denn Bonn strei­chelt den Ball so gefühl­voll, als male er seine Spiel­züge auf Lein­wände, er spielt die Pässe zen­ti­me­ter­genau wie die bra­si­lia­ni­schen Zau­berer bei den Welt­meis­ter­schaften. Ein Fuß­bal­l­äs­thet. Am Ende ver­passt Wup­pertal zwar knapp den Auf­stieg in die Bun­des­liga, doch für Bonn hat sich die Saison mehr als gelohnt, denn die Scouts aus Gel­sen­kir­chen, Berlin, Köln, Bochum und Ham­burg stehen nun­mehr Schlange. Gerade das Angebot vom HSV reizt den jungen Bonn, einzig seine Mutter hat Zweifel. Sind es von Siegen bis Wup­pertal 100 Kilo­meter, liegt Ham­burg nun über 400 Kilo­meter ent­fernt. Die große weite Welt. Die tobende Stadt. Der HSV bleibt den­noch dran, und Klaus Ochs, damals Trainer in Ham­burg, ver­kündet schon ein paar Wochen später, im April 1970: Die Schwie­rig­keiten sind aus­ge­räumt. Heinz Bonn wird unter­schreiben.“ Die Ablö­se­summe beträgt 75.000 Mark.

Das soll der neue Super­transfer sein?“

In Ham­burg findet Heinz Bonn zunächst die harte Bun­des­li­ga­welt. Das Idyll der über­schau­baren mit­tel­großen Städte in West­falen ist dem Chaos und den stän­digen Spot­lights der Metro­pole gewi­chen. Plötz­lich spürt Bonn unbe­kannte Erwar­tungs­hal­tungen, Erfolgs­druck und harte Ellen­bogen. Sogar die Mit­spieler scheinen zunächst skep­tisch. Wir dachten: Das soll der neue Super­transfer sein?“ erin­nert sich HSV-Links­außen Charly Dörfel. Heinz Bonn war ja keine Größe, ein Zweit­li­ga­spieler, doch warum machte die Presse so ein Trara um den?“ Anfangs scheint es, Heinz Bonn sei zu zart für die Bun­des­liga. Oder gar für den Fuß­ball an sich? Passt er über­haupt in diese Maschine? Und was pas­siert nur, wenn seine Homo­se­xua­lität bekannt wird, dort auf dem Fuß­ball­platz, der letzten reinen Män­ner­bas­tion, dort in der Kurve, wo Sprüche wie schwule Sau“ dazu­ge­hören wie die Brat­wurst und das frisch gezapfte Bier in der Halb­zeit.

Heinz Bonn rea­li­siert, dass er die Kri­tiker nur ver­stummen lassen kann, dass er seine Homo­se­xua­lität nur dann geheim halten kann, wenn er Kli­schees im Keim erstickt. Er muss funk­tio­nieren. Und er muss Härte zeigen. Zumin­dest das, was die All­ge­mein­heit unter Härte ver­steht. Bonn hängt sich im Trai­ning rein, schiebt Extra­schichten auch dann, wenn die anderen längst zu Hause auf dem Sofa liegen. Schwebte er in Wup­pertal über den Platz, spielte er dort ele­gant und leicht­füßig, grätscht er nun dazwi­schen – ohne Rück­sicht auf Ver­luste. Ein Ball­genie ist er hier nicht, seine Mit­spieler nennen ihn schon nach den ersten Trai­nings­ein­heiten Eisenfuß“. Bonn ver­steht das als Kom­pli­ment.

Sorge macht ihm das erste Heim­spiel, denn die Fans eines Klubs wie dem HSV sind andere Kaliber als in Wup­pertal oder in Siegen-Nie­der­schelden. Sie wollen Spieler sehen, die sich zer­reissen, die für den Klub sterben würden. Bonn stählt sich weiter. Und so tritt er im ersten Test­spiel gegen die Glasgow Ran­gers den schot­ti­schen Natio­nal­rechts­außen Willie Hen­derson regel­recht aus dem Spiel. Hen­derson lässt sich kurz nach der Halb­zeit aus­wech­seln, und Klaus-Dieter Ochs tobt nach dem Spiel: Ich habe Heinz Bonn klipp und klar gesagt, dass die Füße zum Spielen und nicht zum Treten da sind.“ Glas­gows Manager Waddel stimmt ein: Die Nummer 5 hätte vom Platz gemusst!“ Die Nummer 5, Heinz Bonn, denkt indes laut nach: Viel­leicht pas­sierte es. weil ich bei meinem Debüt vor dem Ham­burger Publikum sehr nervös war.“ Doch die Zweifel an seiner Spiel­weise schwinden schon beim nächsten Inter­view. Als Bonn nach seinem Idol befragt wird, ant­wortet er bestimmt: Berti Vogts.“ Der Kaiser ist dem Ter­rier gewi­chen. Doch je stärker Heinz Bonn ver­sucht seine äußere Fas­sade zu stählen, desto mehr zer­bricht er daran. Die Partie in Ober­hausen ist der Anfang.

Ich hebe 140 Pfund!“

Noch am Morgen des Spiels sorgt sich Trainer Ochs um seine Auf­stel­lung, zahl­reiche Profis haben sich ver­letzt abge­meldet. Auch Heinz Bonn liegt seit Tagen in Behand­lung beim HSV-Mann­schafts­arzt Dr. Kurt Fischer, er hat einen Menis­kus­schaden und eine Gehirn­er­schüt­te­rung erlitten. Doch Bonn trai­niert manisch. Täg­lich macht er Streck­übungen am Barren, an der Spros­sen­wand, alles mit Gewichten. Stolz ver­kündet er jedem Jour­na­listen, der ihm ein Mikrofon hin­hält: Ich hebe 140 Pfund.“ Schwarz auf weiß, gedruckt in der Ham­burger Presse, liest sich dieser Satz wie Bonns Leit­bild. Schwäche kennt er nicht. Und so steht Bonn an jenem 26. Sep­tember 1970 voll moti­viert am Mann­schaftsbus. Ich komme mit“, tönt er. Die Spieler sind beein­druckt, zugleich können sie es kaum fassen, Dörfel sagt zu Uwe Seeler: Der war doch vor ein paar Stunden noch in Voll­nar­kose, oder nicht?“ Auch in Ochs Augen spie­geln sich die Fra­ge­zei­chen, doch er lässt Bonn mit­fahren. Auf dem Weg nach Ober­hausen grü­belt der Trainer, und in der Umklei­de­ka­bine fragt Ochs: Heinz, wie sieht es aus, bist du dabei?“ Bonn ant­wortet gera­de­wegs, ganz so, als ob er in der letzten Woche einen Schnupfen gehabt hätte: Klar, Trainer!“

Was dann pas­siert, ver­steht bis heute keiner seiner Mit­spieler. In dem Spiel macht Bonns Gegen­spieler Hans Schu­ma­cher fünf Tore, in der 80. Minute ver­schuldet Bonn zudem einen Elf­meter, Ober­hau­sens Lothar Kobluhn ver­wan­delt zum 8:1 – es ist die höchste Aus­wärts­pleite in der Geschichte des Klubs. Bonn war total von der Rolle“, erzählt Dörfel. Er hat eigene Leute gedeckt und ange­griffen. Es war, als ob er unter Medi­ka­menten stand.“ Auch Jürgen Kurb­juhn und Willi Schulz sind fas­sungslos, sie schauen wäh­rend des Spiels immer wieder fra­gend zum Trainer, doch Ochs lässt Bonn im Spiel.

Auch in Ham­burg weiß nie­mand etwas von Bonns Geheimnis. Nie­mand kennt den Men­schen Heinz Bonn. Willi Schulz ver­sucht sich zu erin­nern: Heinz Bonn war Jung­ge­selle, der auch gerne mal um die Häuser zog.“ Mit wem? Das wusste nie­mand.“ Heinz Bonn ist ihr Mit­spieler, Kamerad, einer, mit dem man in der Kabine mal flachsen kann, ein netter Junge. Nie­mand weiß, wo er auf­ge­wachsen ist, dass er in Wup­pertal Ball­genie“ genannt wurde, welche Musik er mag, wohin er nach den Spielen fährt. Die Pro­fi­maske lacht, doch ist das Lachen längst ein rui­niertes. Alles in Bonns Fuß­ball-Welt bleibt unver­bind­lich, eine Schein­idylle, und trotz dem stän­digen Bei­sam­men­sein mit der Mann­schaft, den Aus­wärts­fahrten, den gemein­samen Restau­rant­be­su­chen, tau­melt Bonn durch die Anony­mität der Liga. Über Gefühle zu spre­chen ist ein Wagnis. Heinz Bonn ist alleine. Auch in Ham­burg.

Heinz Bonn schlägt um sich

Und so geht es weiter. In den Wochen und Monaten nach dem Ober­hausen-Trauma tau­melt Bonn nicht mal mehr, er ver­liert die Kon­trolle über sich und legt sich mit­unter mit den eigenen Mit­spie­lern an. Als Georg Vol­kert nach einem Trai­ning vom Platz hum­pelt, erklärt Ochs den fra­genden Jour­na­listen: Heinz Bonn hat im Zwei­kampf ein­fach drauf geschlagen, als hätte er ein Stück Eisen vor sich.“ Charly Dörfel nennt ihn mitt­ler­weile nur noch den Zer­störer“.

Zu dem Frust ein Dop­pel­leben führen zu müssen, kommen zahl­reiche Ver­let­zungen. Ab Sep­tember 1970 labo­riert Bonn über Jahre an einem Menis­kus­schaden, er ist Dau­er­gast in Kran­ken­häu­sern und Sport­kli­niken. Alleine vier Ope­ra­tionen muss er am linken Knie über sich ergehen lassen. In der Öffent­lich­keit gibt er sich weiter hart: Die 17 Zen­ti­meter langen Narben stören mich nicht.“ Zudem miss­achtet er etliche ärzt­liche Rat­schläge, er fängt oft­mals zu früh mit dem Trai­ning an, will allen beweisen, dass er zurück­kommt. Es muss immer weiter, immer weiter gehen. Der Fuß­ball lässt ihn nicht durch­atmen. Die Zeit­schrift Kicker“ resü­miert im Mai 1972: Vier Mal ope­riert, 55 Mal punk­tiert und der Ver­zweif­lung nahe – hätte Heinz Bonn schon nach der erste Ope­ra­tion auf den Arzt gehört und nur das beim Trai­ning gemacht, was ihm erlaubt worden war, wären ihm die übrigen Ope­ra­tionen ver­mut­lich erspart geblieben. Sogar die Fuß­ball­schuhe und den Ball musste man beim HSV vor ihm ver­ste­cken.“ 

Bonn ver­sucht zahl­reiche Come­backs. Ein letztes am 14. Oktober 1972 im Heim­spiel gegen den 1. FC Kai­sers­lau­tern. Im Sommer 1973 wech­selt er nach nur 13 Spielen für den HSV zu Arminia Bie­le­feld in die Regio­nal­liga West. Sein Markt­wert ist mitt­ler­weile auf 35.000 Mark gesunken. Er ist zurück in der Beschau­lich­keit. Nah seiner Familie. Doch Heimat heißt für ihn lange nicht mehr Siegen oder Wup­pertal. Auf die Frage, warum er alle zwei Wochen ver­reise, ant­wortet Bonn, er müsse nach Ham­burg, habe Heimweh, die Stadt sei sein neues Zuhause geworden. In dieser Zeit beginnt Heinz Bonn zu trinken. Und in dieser Zeit ver­liert sich langsam seine Spur. Einen Bie­le­felder Ver­eins­funk­tionär soll er ver­prü­gelt haben. Heißt es. Kurze Zeit beendet Bonn seine Kar­riere, wird Früh­rentner, zieht nach Han­nover und durch die umlie­genden Eck­pinten. Heißt es. Danach ver­schwindet seine Spur tat­säch­lich im Nichts.

Von Mes­ser­sti­chen gezeichnet

Bis am 5. Dezember 1991 um 11 Uhr das Telefon auf der Poli­zei­dienst­stelle Han­nover-Linden klin­gelt. Eine Frau ist in der Lei­tung, auf­ge­wühlt. Sie habe in ihrer Nach­bar­woh­nung einen Toten ent­deckt, als sie nach dem Rechten sehen wollte, nun sei alles voller Blut, auf der Wand, auf dem Boden, überall Blut. Als die Polizei ein­trifft, kann sie nur noch den Tod fest­stellen, die Leiche liegt in der her­un­ter­ge­kommen Ein­zim­mer­woh­nung, von Mes­ser­sti­chen gezeichnet.

Wie lange Heinz Bonn schon tot war, wurde nie geklärt. Ver­mut­lich mehr als eine Woche. Zuletzt hatten ihn Bekannte am 27. November in einer Gast­stätte im Stadt­teil Linden gesehen. Ehe­ma­lige Mit­spieler erfahren von seinem Tod durch die Presse. Bis heute ist der Fall nicht auf­ge­klärt. Heinz Bonn sei von einem Stri­cher­jungen ermordet wurde. Heißt es.