Für einen TV-Sender sammelt Hans Sarpei momentan Erfahrungen als Amateurtrainer. Motto: „Hans Sarpei kann in einem Spiel vier Punkte holen!“ Unser Autor war dabei – als Schiedsrichter.
Das elektronische Zeitalter ist längst auch bei den Schiedsrichtern angekommen. Spielansetzungen erfolgen via E‑Mail, der Bestätigungs-Link signalisiert dem Einteiler die Bereitschaft zur Übernahme des Spiels. Doch was ist das? Zwei Assistenten? Bei einem Spiel der B‑Klasse Kaiserslautern-Donnersberg Süd? Irgendetwas stimmt hier nicht. Nachfrage beim Einteiler, Smalltalk mit dem Kreisvorsitzenden.
Ich erfahre nur so viel: Das Fernsehen kommt, Hans Sarpei kommt – und beide Vereine haben deshalb ein Gespann angefordert. Jetzt will ich es genau wissen. Und finde tatsächlich die Informationen: Der SV Mölschbach, den einst sogar Ottmar Walter trainierte, hatte sich erfolgreich bei der Aktion „Hans Sarpei – Das T steht für Coach“ beworben. Ein Kamerateam im Auftrag des TV-Senders Tele 5 begleitet jeweils für mehrere Tage eine Mannschaft und das Umfeld des Vereins. Tele 5? Ich suche – und finde den Sender tatsächlich. Auf Speicherplatz 445. Hans Sarpei, heute 37, ehemaliger Nationalspieler Ghanas und in der Bundesliga für den VfL Wolfsburg, Bayer 04 Leverkusen und beim FC Schalke 04 aktiv, startet seine neue Sendereihe am 17. November, die Filme werden in diesen Wochen vorproduziert.
„Ein Wald – Zwei Vereine – Ein Derby“
Eigens für dieses Spiel wurde zwei Tage zuvor eine Pressekonferenz anberaumt. Ich möchte die Atmosphäre schnuppern, will sehen, was hier vor sich geht. Mölschbach also. Mitten im Pfälzerwald. 15 Kilometer von der Innenstadt Kaiserslauterns entfernt. Dörfliche Struktur, bekannt für aufmüpfige Wildschweine und doch seit 1969 ein Stadtteil Kaiserslauterns. Im Dorf hängen Plakate: „Ein Wald – Zwei Vereine – Ein Derby“. Ich erfahre, dass Hans Sarpei und sein Team bereits den TuS Bruchhausen und den TSV Juist besucht haben, Mölschbach ist also die dritte Station des Ex-Profis, der auf Facebook und Twitter eine riesige Fangemeinde mit markigen Sprüchen unterhält.
Die Pressekonferenz gehört zur gewollten Inszenierung. „Hans Sarpei kann in einem Spiel vier Punkte holen“, verlautet die Marketingstrategie, die den Ex-Profi zur Kultfigur hochstilisiert, in Wahrheit aber nur eine Nebenrolle für ihn bereithält. Hauptdarsteller ist nämlich Sarpeis Assistent André Schubert. Untersetzt, komische Frisur und ein Zottelbart. Chuck Norris? So ähnlich zumindest. Doch es sind nicht nur die äußerlichen Attribute, die Schubert zum eigentlichen Chuck-Norris-Double qualifizieren. „Waldleiningen ist ein hässliches Dorf. Die haben es gar nicht verdient, hier zu gewinnen. Wir werden mit einem Ergebnis von mindestens 5:0 ein Denkmal setzen“, tönt Norris, Pardon, Schubert. „Für Mölschbach stellen wir Bier kalt, für den Gegner halten wir Taschentücher bereit.“
Und Hans Sarpei? Er sitzt daneben, wirkt fast schon etwas schüchtern. Leise und wohl überlegt formuliert er seine Sätze, die so gar nicht nach Attacke klingen: „Ziel muss es sein, dass die Mannschaft zusammenrückt, als Einheit auftritt. Dann glaube ich auch, dass wir die bessere Mannschaft sind.“ Sätze eben, die man bei jeder zweiten Pressekonferenz in Fußball-Deutschland zu hören bekommt. Nach einer Teambuilding-Maßnahme im nahegelegenen Waldseilpark und zwei Trainingseinheiten mit Schaulustigen rückt das Spiel immer näher.
Meine beiden Assistenten Dirk Kallmayer und Alexander Ecker treffen pünktlich um 13:45 Uhr ein. Genug Zeit für einen Kaffee, Kontrolle der Tornetze und eine ausführliche Vorbesprechung. Derby, Fernsehteam, viele Zuschauer und eine knisternde Atmosphäre. Wir bereiten uns auf ein heißes Spiel vor, besprechen Taktik und Entscheidungsbefugnisse. Ein Kollege kommt in die Kabine und präsentiert uns sein neuestes technisches Schiri-Equipment. B‑Klasse mit Headset? Warum nicht!
Zu Beginn gleich eine gelbe Karte: „Super Einstieg!“
Passkontrolle – und auf dem offiziellen Spielbericht steht in der Rubrik „Trainer“ tatsächlich Hans Sarpei. Ein letztes aufmunterndes Shakehands in der Schiri-Kabine. 400 Zuschauer säumen den Platz, es nieselt. Beide Fangruppen skandieren lautstark, auf dem Platz wird um jeden Zentimeter gefightet. Nach neun hitzigen Anfangsminuten wird ein Spieler der Einheimischen an der Außenlinie abgegrätscht. Ich ziehe die erste von insgesamt sieben Gelben Karten. „Super Einstieg“, höre ich vom Assistenten auf der gegenüberliegenden Seite über meinen Knopf im Ohr.
Und es bleibt ruppig. In der 42. Minute ein rustikales Foul, wieder an der Außenlinie. Und wieder erwischt es einen Mölschbacher. Der Übeltäter ahnt bereits, was jetzt kommt: Rot! Der Spielertrainer des Gegners tobt: „Der Platzverweis kommt nur wegen dem da draußen“, will er mir weißmachen und deutet auf Hans Sarpei. Sarpei? Genau, den hatte ich bei all der Hektik völlig vergessen. Vielleicht auch, weil er sich wie jeder andere Trainer in der B‑Klasse verhält. Taktische Anweisungen, verbale Aufmunterungen. Nicht mehr und nicht weniger. Auch André Schubert fällt nicht aus dem Rahmen, lediglich dem Kameramann muss ich seinen Platz zuweisen, weil dieser die Sicht des Assistenten verstellt.
Halbzeitbesprechung: Wir sagen erst einmal gar nichts, müssen durchatmen. Es steht 1:1, fünf Spieler sind bereits verwarnt, einer schon gar nicht mehr dabei. Wir stellen uns auf eine emotionsgeladene zweite Halbzeit ein und verabreden, die konsequente Linie weiter zu fahren. Doch die Karten zeigen ihre Wirkung. Es bleibt fair. Beide Mannschaften wissen, dass es ein (Fußball-)Leben nach dem „Fernsehspiel“ gibt, riskieren deshalb nicht weitere Platzverweise und Sperren. Für uns Schiedsrichter bleibt sogar ein wenig Zeit zum Scherzen. Mit dem Headset im Nieselregen machen wir uns gegenseitig Mut und ermahnen uns, die Konzentration hochzuhalten. Schlusspfiff nach zweiminütiger Nachspielzeit. Geschafft!
Was Besonderes
Hans Sarpei verabschiedet sich von seinen Gastgebern, nachdem er die „mangelnde Chancenverwertung“ seiner Mannschaft beklagte. Vier Tage lang hatte er eine Mission zu erfüllen. Das hat nicht ganz geklappt: „Kein Zauberfußball mit Hans Sarpei“, titelt am Tag danach die Lokalpresse. Spieler und Verantwortliche des SV Mölschbach versuchen ihre Eindrücke in Worte zu fassen. Und immer wieder ist zu hören: „Das war mal was Besonderes.“ Was genau so besonders an den vier Drehtagen und dem Besuch des Ex-Profis Hans Sarpei war, konnte niemand so recht greifen, erst recht nicht beschreiben. Vielleicht wird das erst im Fernsehen deutlich. Am 1. Dezember soll der Film aus Mölschbach bei Tele 5 laufen. Dann sitzen sie wohl alle vor dem Fernsehgerät, die Einwohner des 1200-Seelen-Dorfs, das eigentlich zur Stadt Kaiserslautern gehört und doch mitten im Pfälzerwald liegt. Dann geht der Ausnahmezustand im beschaulichen Mölschbach in die Verlängerung.