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Das war schon ein beson­deres Spiel. Für uns ging es am 3. April 1999 um die Cham­pions-League-Qua­li­fi­ka­tion, für die Bayern um die Meis­ter­schaft. Sowieso ist man gegen die Münchner immer moti­vierter als gegen andere Mann­schaften, das geht doch jedem so. Im West­fa­len­sta­dion war die Stim­mung ziem­lich auf­ge­heizt, und der Oliver Kahn ist aus der Kurve heraus heftig pro­vo­ziert worden. Ich finde aller­dings, solche Ver­ach­tung von Seiten der Fans ist eher eine Form der Aner­ken­nung. Auf einen Tor­wart, der sich seit Wochen die Dinger selbst rein­legt, wirft doch keiner eine Banane. 

Kahn aber war ein abso­luter Top-Mann, und den ver­sucht man eben mit allen Mit­teln aus dem Kon­zept zu bringen. Dass er dann zuweilen die Fas­sung verlor, ist doch mehr als ver­ständ­lich. Wir Spieler reizen ein­ander ja ständig. Beim Fuß­ball geht man immer an die Grenze – und manchmal dar­über hinaus. So wie Kahn braucht jeder Spieler auf seine Weise das Adre­nalin, um die Leis­tung abzu­rufen. Du brauchst die Ner­vo­sität – dafür bist du manchmal eben nicht ganz klar im Kopf. 

Erst recht nicht in diesem Spiel. Es war heiß, noch heißer sogar, nachdem Sammy Kuf­four dem Lars Ricken auf Höhe der Mit­tel­inie in die Achil­les­sehne gesprungen war. Dafür hat er Rot gesehen, wir waren in Über­zahl und führten schon 2:0. Ich hatte zwei Tore gemacht, beim zweiten sah Kahn nicht gut aus. Chris­tian Ner­linger hatte aus 30 Metern abge­zogen, Kahn ließ den Ball abprallen, und ich hab ihn rein­ge­hauen. Viel­leicht hat ihm das den letzten Nerv geraubt. Kurz danach kam es näm­lich zu dieser berühmten Attacke. 

Ich kann mich erin­nern, dass der Jürgen Kohler vorher zu mir gesagt hat: Pass auf, der Olli lässt sich bei hohen Bällen leicht pro­vo­zieren. Lauf ruhig ab und zu mal durch, rem­pele ihn ein biss­chen an, damit er die Nerven ver­liert.“ Und das habe ich in dieser Situa­tion auch gemacht. Als er auf mich zu kam und seine Nase an meinen Hals drückte, war ich schon über­rascht. Aber ich habe gleich­zeitig eine innere Freude ver­spürt, weil ich wusste: Jetzt zeigt er Schwäche, ich habe mein Ziel erreicht. Gebissen hat Kahn mich nicht, nur geknab­bert, jeden­falls hatte ich kein Loch im Hals. Ich habe dann eine Geste gemacht, als hätte er eine Fahne. Die hatte er natür­lich nicht, ich wollte ihn ein­fach nur noch weiter reizen. 

Am Anfang meiner Kar­riere hätte ich wahr­schein­lich selbst die Fas­sung ver­loren. Aber ich hatte mir ange­wöhnt, mich auf solche Situa­tionen vor­zu­be­reiten. Ob mich einer beschimpft und bespuckt hat oder mir mit über­trie­bener Härte kam – das hat mich nicht mehr beein­druckt. Fünf Minuten später ist Kahn dem Sté­phane Cha­puisat ja noch mit gestrecktem Bein ent­gegen gesprungen. Aber er wollte ihn garan­tiert nicht ver­letzen, son­dern nur zeigen: Ich will euch Hansel in meinem Straf­raum nicht haben!“ Und er wollte seine Mann­schaft wach­rüt­teln. Das hat er ja auch geschafft: Wir haben trotz der Über­zahl noch zwei Dinger kas­siert, am Ende stand es 2:2. 

Einen Monat später habe ich Oliver Kahn in der Praxis von Doktor Müller-Wohl­fahrt getroffen. Wir haben ganz locker mit­ein­ander gespro­chen, nur nicht über das Spiel. Wir wussten beide: So etwas gehört ein­fach dazu. Natür­lich wurde ich von den Mann­schafts­ka­me­raden auf­ge­zogen, von wegen: Wie erklärst du das deiner Frau?“ 

Auch die Spieler, die ich heute trai­niere, kennen die Szene. Sie läuft ja immer wieder im Fern­sehen – aber nicht weil ich so ein toller Spieler war, son­dern wegen Oliver Kahn. Er war ein Welt­klas­se­mann. Und da hat er mal einen kleinen Fehler gemacht. Das sollte man ihm nach­sehen.