Die Fans von Hapoel Tel Aviv vergraulten erst den verhassten Klubbesitzer, dann kauften sie sich selbst ein in ihren Verein. Heute bestimmen sie mit, wenn etwa Itay Shechter verpflichtet wird. Doch macht die Verantwortung sie zu glücklicheren Fans?
Als Nimrod Bouchman seinen Fußballverein retten musste, dachte er an E.T., an Steven Spielbergs Filmhelden. E.T. war ein Außerirdischer, der auf der Erde gestrandet war, und der wieder zurück nach Hause wollte – so sahen Bouchman und die anderen Fans des Fußballvereins Hapoel Tel Aviv auch den neuen, reichen Eigentümer ihres Klubs, Eli Tabib. Die Fans schrien ihn an, sie wollten ihn zurückschicken. Und weil Eli Tabibs Initialen E.T. sind, und weil Bouchmans Job das Erfinden von Kampagnen ist, erstellten die Anhänger die Webseite savehapoel.com, setzten ein Foto von Eli Tabib auf den gedrungenen Körper von E.T., druckten das Motiv auf T‑Shirts und hofften auf ein Wunder.
Nimrod Bouchman, heute 29, lächelt, wenn er vom Beginn dieser Kampagne erzählt. Bouchman sieht nicht aus wie ein Businessmann, wie ein Fußballfan allerdings auch nicht. Er trägt Turnschuhe und T‑Shirt, er wirkt ein wenig schüchtern, doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Er sitzt an einem Sonntag im Juni in einem Büro in Tel Aviv, am Kikar-Rabin-Platz. Einem Wahlkampf-Büro, genaugenommen. Denn die Rettung seines Fußballvereins war für Bouchman nur eine von vielen öffentlichen Aktionen – im Nebenjob ist er Sprecher des Basketballteams von Hapoel, aktuell ist er im Wahlkampfteam von Nitzan Horowitz, der der erste schwule Bürgermeister Tel Avivs werden möchte. Im Oktober sind Wahlen.
Bouchman hat viel zu tun. Alle fünf Minuten ruckelt sein Handy auf dem Tisch. Aber er nimmt sich Zeit. Denn diese Geschichte berührt ihn, weil sie auch etwas erzählt über die Macht der Fans. Man lässt sich das am besten von ihm selbst erzählen, weil er wohl am besten weiß, wie es gewesen ist. Er war schließlich der Hauptdarsteller.
Verbrannte Erde
„Das Paradoxe war ja, dass Tabib in einer Zeit zu uns kam, als Hapoel sehr erfolgreich war“, beginnt er. In der Saison 2010/2011 gewinnt Hapoel Tel Aviv das Double, und übersteht sogar alle Qualifikations- und Play-off-Runden für die Champions League. Plötzlich spielt der arme aber ehrgeizige Verein aus Israel in einer Gruppe mit Schalke 04, Olympique Lyon und Benfica Lissabon. Investor Eli Tabib kauft sich ein in den Verein – zunächst mit 50 Prozent, was relativ unbemerkt bleibt.
Im Mai 2011 wird sein Engagement öffentlich und er kauft alle Anteile von Hapoel. Vielleicht ist er anfangs vorsichtig, weil er ahnt, was man über ihn sagt. Rotem Grosman jedenfalls, Hapoels Sprecher, sagt nichts Gutes über Tabib. Dazu erzählt er eine kleine Vorgeschichte: 1995 kaufte Tabib den Verein Hapoel Kfar Saba, ein mittelmäßiger israelischer Fußballklub. Als er vor vier Jahren dort wegging, „hinterließ er verbrannte Erde“, wie Grosman es ausdrückt. „Er nahm alles mit, sogar die Klimaanlagen.“ Tabib veräußerte die besten Spieler, Douglas da Silva, Samuel Yeboah und Avichai Yadin. Er versuchte aus dem Fußballklub maximalen Gewinn mitzunehmen. Die Folge: Kfar Saba stürzte ab. Der Verein, einst israelischer Meister, spielt heute in der zweiten Liga.
Nun also Hapoel – und die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Der Verein steht zu Beginn von Tabibs Engagement sportlich und finanziell ungewöhnlich gut da – doch dann geht es bergab. Zunächst sportlich: 2012 feuert Tabib den populären Trainer Dror Kashtan. Er lässt Nachwuchsspieler von Hapoel ziehen – ausgerechnet zum Erzfeind Maccabi Tel Aviv, anstatt sie im eigenen Profiteam unter Vertrag zu nehmen. Doch auch abseits des Platzes wird es dubios: Plötzlich, mitten in der Saison, zahlt Tabib den Spielern keine Gehälter mehr. Als Konsequenz darauf streiken diese. Zahlreiche Kluboffizielle kündigen ihre Jobs, darunter Tabibs Sprecher und sein Anwalt.
Plötzlich, so sagt es Bouchman, sei auch Geld verschwunden. Tabib in dieser Hinsicht etwas nachzuweisen, ist schwierig. „Er ist korrupt“, behauptet Bouchman. Auf seiner Homepage hat der Verein inzwischen die Ergebnisse eines Wirtschaftsprüfers veröffentlicht: Daraus geht unter anderem hervor, dass Tabib zu wenig Steuern gezahlt hat. Wo das übrige Geld hin ist? Grosman klopft sich auf die Hosentaschen, kommentiert die Frage nicht weiter. „Dafür aber hat er Kommissionen an Leute bezahlt“, sagt Grosman, „für Deals, die nie zustande kamen.“
Auch die Spieler, erinnert sich Bochman, seien zu der Zeit auf die Fans zugekommen, sagten, der neue Eigentümer sei korrupt, behandle sie und das Personal schlecht. Die Fans protestierten im Bloomfield-Stadion mit Plakaten. Tabib ließ die Polizei aufmarschieren und die Plakate beschlagnahmen. Die traditionell linken Hapoel-Fans sehen darin ihre Meinungsfreiheit beschränkt. „Wenn man all diese Punkte verknüpft“, sagt Grosman „sieht man, dass Hapoel auf dem Weg war ein zweites Kfar Saba zu werden.“ Diese Angst frisst sich in die Fans. Die Hapoel-Ultras erklären Eli Tabib endgültig zu ihrer Hassfigur. Und es ist der Zeitpunkt, als Nimrod Bouchman darüber nachdenkt, seinen Verein zu retten.
Die Ultras von Hapoel sehen sich als Gegenbild zum großen Rivalen Maccabi Tel Aviv, dem Klub der Reichen, wie sie hier sagen. Hapoel, hebräisch für „Arbeiter“, entstand aus der Histadrut, der israelischen Arbeiterbewegung. „Unser Klub ist ein Teil der Linken-Bewegung, Teil der Antifa“, sagt Bouchman. Zum FC St. Pauli besteht eine Fan-Freundschaft.
„Die Sache mit Tabib ist: Er zeigte nicht, dass er den Klub liebt, er sah ihn nur als Business“, sagt Grosman. „Hapoel-Fans möchten aber, dass die rote Fahne auch rot bleibt.“ In Israel, sagt Nimrod Bouchman, sei das Einkaufen in einen Verein recht einfach – und damit ein großes Problem: „Mit genügend Geld kannst Du einen Verein einfach kaufen, dann gehört er dir. Du kannst damit machen, was Du willst. Du kannst ihn auch schließen. Die Fans können nichts tun – außer protestieren.“
Und die Fans protestierten. Ein Fall erregte gar die Aufmerksamkeit der Staatsanwaltschaft: Weil ein Hapoel-Fan vor Tabibs Haus den Eigentümer lautstark verflucht hatte, eskalierte die Situation und Tabib und seine Bodyguards traktierten den Fan mit Schlägen. Beide, Tabib und sein Bodyguard, wurden wegen Körperverletzung angezeigt.
Bouchman denkt also, wie er es gelernt hat: Eine Kampagne muss her. „Ich sagte den Ultras: Wir brauchen einen Plan.“ Also macht er einen Plan. Er gründet die Homepage savehapoel.com. Gemeinsam mit anderen Fans erfindet er die Kampagne „E.T. go home“, Tageszeitungen berichten. Und das Wunder wird wahr. Von den T‑Shirts verkaufen sie tausende, wie Bouchman sagt. Von dem Geld drucken sie Plakate, Flyer, Buttons, sogar Hunde tragen die Fotomontage spazieren. Es kursiert ein youtube-Video, in denen ein Maradona-Double den Satz sagen: „Eli Tabib, go home“. In der ganzen Stadt wird E.T. auf Fotos nach Hause geschickt, der Druck auf Tabib wird immer stärker. Schließlich, am 18. Juni 2012, tritt Tabib zurück. Die Fans haben gesiegt.
Die Fans kaufen sich ein
„Das“, sagt Bouchman in seinem Büro feierlich, „hat es in Israel noch nie gegeben. Nicht auf diesem Level.“ Die israelische Tageszeitung „Haaretz“ schreibt anerkennend, Hapoels Fans hätten mit ihrem Protest „eine neue Ära“ bereitet. Doch nun wollen die Anhänger mehr, sie wollen den nun kopflosen Verein selbst kaufen.
Am 17. Juli 2012 leitet Bouchman die nächste Phase seiner Kampagne ein: Er gründet die Non-profit-Organisation Haadumim (hebräisch für: Die Roten). Es finden sich fast 4000 Fans, die für Haadumim spenden. Am Ende reicht es zwar nicht für die geplanten 50, aber immerhin für 20 Prozent von Hapoel Tel Aviv. Drei Haadumim-Abgesandte arbeiteten von nun an mit den Klub-Offiziellen zusammen. Neuer Mehrheitsbesitzer wird der ehemalige israelische Justizminister Haim Ramon. Er verkündete auf der Pressekonferenz beim Abschied von Eli Tabib: „Hapoel-Tel-Aviv-Fans sind, mehr als in allen anderen Teams, das Herz und die Seele des Teams.“
Die Fan-Organisation hat nun eine eigene Repräsentanz auf Hapoels Trainingsgelände, dem Hodorov-Platz, wo auch die deutsche U21-Nationalmannschaft während der EM trainierte. Das Büro ist eine Art Container, provisorisch mit Wellblech bedeckt, wie man es von Baustellen kennt. Viele Umzugskartons stehen herum. An den Wänden hängen Eintrittskarten bedeutender Spiele, wie etwa vom Champions-League-Auswärtsspiel auf Schalke am 20. Oktober 2010. Wie bei echten Fans eben. Natürlich ist der Container rot angestrichen, wie auch der Rest des Klubgeländes in Rot leuchtet.
Was machen Die Roten nun mit ihrer neuen Macht? Sie holen einen altbekannten Helden zurück: Itay Shechter. Der Stürmer spielte von 2009 bei Hapoel, bevor er 2011 in die Bundesliga zum 1. FC Kaiserslautern wechselte; im August 2012 wurde er an den FC Swansea ausgeliehen. „Er ist hier ein großer Star. Die Leute lieben ihn“, sagt Bouchman. „Nicht nur wegen seiner Fähigkeiten, sondern auch wegen seiner Persönlichkeit.“ Er schaut auf sein Handy: „Er müsste heute den Vertrag bei Hapoel unterzeichnen.“
Der Itay-Shechter-Transfer ist der nächste Coup von Nimrod Bouchman und den Haadumim-Mitgliedern. Sie brauchten etwa 1 Million Euro, um ihn von Kaiserslautern loszukaufen. „Das ist viel Geld, was der Klub nicht hat“, sagt Bouchman. Also schlugen die Haadumim-Mitglieder der Klubführung etwas vor, was ihnen im Grunde widerspricht: Das Erhöhen der Ticketpreise um zehn Prozent. Die Organisation sammelte zudem bei wohlhabenden Hapoel-Fans Geld für den Transfer, für die Heimkehr ihres Helden. „Wir sammelten etwa 300.000 Euro“, erzählt Bouchman. Den Rest steuerte der Verein bei.
„Wir wollen jemanden, der auf uns aufpasst“
Die Fans eines Erstligisten bestimmen mit, welcher Eigentümer gehen, welcher Spieler kommen soll. Was klingt wie der Traum für Fußballbegeisterte, kann einen Klub aber auch aufreiben. Alle Fans eines Vereins sind selten einer Meinung. Zudem haben wohl die wenigsten Erfahrung in der Spielertransferpolitik. Die Zeitung „Haaretz“ schreibt dazu kritische Artikel, einer trug die Überschrift „Zu viel Köche verderben den Brei bei Hapoel Tel Aviv“. Tenor: Die Fans würden ihren Klub „zerstören“.
Zu viele Shareholder versuchten den Klub in verschiedene Richtungen zu ziehen. Dazu zitiert die Zeitung einen anonymen Insider einer der Shareholder, der beklagt: „Hapoel hat sich in ein Team verwandelt, das von Fans kontrolliert wird.“ Was sagt Bouchman zu solchen Vorwürfen? „Normalerweise sind Transfers Aufgabe des Managements, das ist schon richtig. Aber wenn in diesem Fall die Fans helfen können – warum nicht?“
Frage an Rotem Grosman: Ist es gut, wenn die Fans Entscheidungsgewalt haben in ihrem Klub? Er schaut ernst. „Das ist eine gute Frage. Eine gute Frage…“ Er überlegt einen Augenblick. Dann redet er auf einmal nicht mehr aus Sicht des Klub-Sprechers, der er ja ist, sondern aus Sicht des fanatischen Hapoel-Fans aus der Kurve, der er bis vor einem Jahr war. Er sagt: „Wir wollen jemanden, der auf uns aufpasst. Wir wollen am Samstag ins Stadion gehen, und einfach nur Fan sein. Wir wollen nicht diesen Druck haben, Entscheidungen mittragen zu müssen.“
Aber man habe nun mal keine Option. Der Mehrheitseigner Haim Ramon sei auch ein Hapoel-Fan. „Er rettete uns. Aber er hat wenig Geld. Also müssen wir ihm helfen! Wir haben keine Wahl!“, ruft Grosman. „Könnten wir verkaufen, würden wir das tun. Die Fans wollen nicht im Management sein. Das ist nicht ihr Ding. Sie wollen nur, dass das Shirt rot und der Name Hapoel bleibt.“
Als würde der Besitzer von St. Pauli den HSV kaufen
Auch Bouchman weiß: „Wenn Du Erfolg im Fußball haben willst, brauchst Du viel Geld.“ Darin unterscheidet er sich wohl keinen Grad von Roman Abramowitsch. Was Bouchman aber ablehnt, sind reiche Potentaten, die, wie er sagt, nichts von Fußball verstehen und sich nur zum Spaß ein Fußballteam halten wie ein Haustier. Er spielt an auf den Kanadier Mitch Goldhar, der den Erzfeind Maccabi Tel Aviv finanziell versorgt. „Klubbesitzer kommen und gehen“, sagt er, „aber die allermeisten kümmern sich nicht um die eigene Jugend, und um die Fans. Für uns ist es wichtig, wie der Klub in zehn Jahren dasteht.“ Deswegen investieren Die Roten nun in Hapoels Nachwuchszentrum – und warten auf einen willigen Käufer, dem sie vertrauen können. Es kursierten schon Namen von Käufern. Bisher wurden alle von den Fans abgelehnt.
Und was wurde aus Eli Tabib? Bouchman lacht herzhaft. „Jetzt versucht er Beitar Jerusalem zu kaufen!“ Er schaut, als sei dem nichts mehr hinzuzufügen. Man muss wissen: Neben Maccabi Tel Aviv ist Beitar Jerusalem der andere große Konkurrent von Hapoel, der andere große Erzfeind. Wenn Hapoel die beiden Derbys gegen Maccabi Tel Aviv und Beitar Jerusalem gewinnt, ist das wichtiger als der Gewinn der Meisterschaft. „Das ist in etwa so“, erklärt Bouchman dem Besuch aus Deutschland, „als würde der Besitzer von St. Pauli plötzlich den HSV kaufen! Das ist unmöglich!“ Für solche Leute sei der Fußball nur Spaß. „Aber für uns bedeutet es mehr als alles.“